Diskriminierte Konfuzius?

Gelegentlich dünkt es mich, daß wir einer allgemeinen Sprachlosigkeit verfallen müssen, wollen wir nicht die “politisch-korrekten” Weisungen zu Wort und Gebrauch täglich neu erlernen. Und täglich neu erlernen ist inzwischen unmöglich, denn Horden von Genderista, Haßverfolgern, Denkpolizisten und wie wir die Maßregler (gerade noch einmal an einer Beleidigungsklage vorbeigekommen?) und Besserwisser und Lebensbild-Entwerfer auch nennen mögen. Dazu gesellen sich gut durchfinanzierte NGO’s, die ihre Agenda ebenfalls durchbringen wollen, und alle werden begleitet von Spracherfindern (? wirklich?) aus der PR-Branche und “gecovered” und “gecoacht” von einer bunten, inzwischen anscheinend nicht weniger verwirrten Journalistenschar.

Bedeutungen werden verändert oder gleich diametral eingesetzt. Der Angriffskrieg wird als  “humanitärer Einsatz” deklariert, “populistisch” wird zum allgemeinen Schimpfwort (nicht weit weg vom “Nazi”). Dabei sagt Wikipedia: “In der politischen Debatte ist Populismus oder populistisch ein häufiger Vorwurf, den sich Vertreter unterschiedlicher Richtungen gegenseitig machen, wenn sie die Aussagen der Gegenrichtung für populär, aber nachteilig halten. Man spricht dann auch von einem politischen Schlagwort bzw. „Kampfbegriff“.

Den “Besserwessi” habe ich noch hautnah miterlebt, die Anti-Fa … kämpft gegen “rechts”, im Wortsinne doch eigentlich gegen Faschisten, aber auch gegen solche Bürger, die nach “Merkel muß weg” schreien (??? verstehe ich nicht wirklich), “Gutmensch” gilt als Beleidigung, der Begriff “Reichsbürger” wird zur Kriminalisierung eingesetzt, ich würde ihn  nach heutiger Rechtslage wohl eher als Beleidigung empfinden (wenn das Bismarck noch erlebt hätte!), aus “Asylanten” (der Begriff “Asyl” ist gesetzlich eigentlich sauber definiert) werden dann Flüchtende (wovor?), dann Schutzsuchende (in unseren Kirchen?), … und zuletzt Migranten oder Einwanderer, und wer dazu Fragen (etwa nach den – eben diskriminierenden – Unterschieden stellt, wird gleich als Rassist, Nationalist oder “Nazi” gebrandmarkt, die 296 (?) Bezeichnungen für Geschlechter kann ich in meinem Alter kaum noch lernen (Verzeihung, aber die verbleibende Lebenszeit kann wirklich besser eingesetzt werden), geschweige denn unterscheiden (“diskriminieren”) lernen (und in dem dann erforderlichen Toiletten-Hochhaus  würde ich mich wahrscheinlich nur noch via GPS/APP orientieren können …). “Krieg ist Frieden” definierte wenigstens George Orwell noch frei und verstehbar heraus, sein “Unwissenheit ist Stärke” könnte man hellseherisch betrachtet auf unsere Zeiterscheinungen projizieren … “Weib” bedeutete ursprünglich “Geliebte”, wenn aber heute über “Weiber” geredet wird, soll das nun ein Ausdruck von “Frauenhaß” sein … Wir könnten das endlos weiterführen – und würden sehr wahrscheinlich in fruchtlosen Diskussionen enden.

Die Verdrehungen und Umdeutungen haben Folgen, schwerwiegende Folgen. Konfuzius allerdings hatte schon die Antwort darauf.

Ich hege den Verdacht, daß wir alle schon bald kaum noch “politisch korrekt” oder straffrei kommunizieren können ohne ein Vokabelheft, besser gleich mit Hilfe eines von Google oder Facebook organisierten und ständig gepflegten elektronischen Wörterbuches, das nicht etwa dem Bedeutungswörterbuch des DUDEN-Verlages entspricht, sondern ständig aktualisiert die heute aktuell umgedeutete/gewollte Sprachakrobatik darstellt samt den Straftatbeständen und Pönalen. (Das wäre vielleicht nicht im Sinne der allgegenwärtigen Anwaltschaft, könnte jedoch vielleicht grobe Fehler und eine drohende Überlastung der Gerichte vermeiden helfen.) Die umsatzsteigernde, in viele Produkte hineinkonstruierte Obsoleszenz hat wie ein Virus anscheinend auch unsere Sprache ereilt: die Bedeutungs-Verfallszeiten werden kürzer und kürzer …

 Zwischenbetrachtung/Einschub: “diskrimieren” in der ursprünglich wertneutralen – und wohl eher in Rahmen der Wissenschaften geschätzten – Bedeutung von „unterscheiden, sondern, trennen“ wurde anscheinend erfolgreich von den Soziologen (sic!) besetzt und wird nach nach Wikipedia heute so interpretiert: Diskriminierung bezeichnet eine Benachteiligung oder Herabwürdigung von Gruppen oder einzelnen Personen nach Maßgabe bestimmter Wertvorstellungen oder aufgrund unreflektierter, z. T. auch unbewusster Einstellungen, Vorurteile oder emotionaler Assoziationen.” (Wobei zu fragen ist, was hier “bestimmte” Wert(!)vorstellungen(!) bedeuten soll, oder wie – selbst unsere Politiker – “unbewußte” Einstellungen usw. denn wohl unter Kontrolle bringen sollten … wie viele Seminare und Selbsterfahrungsgruppen würde das wohl brauchen, und wie viele gut bezahlte Trainer, (Sozial)Psychologen usw. usw.) Jedenfalls wäre doch eine logische Folge, daß Wissenschaftler nicht mehr diskriminieren dürfen … und ihre “Arbeiten” damit zu einem Einheitsbrei geraten müßten?

Zweite Zwischenbetrachtung/Einschub: (zitiert nach Wikipedia) “Der aus dem italienischen Wort für Bund – fascio – abgeleitete Begriff Faschismus wird von Historikern als „gewissermaßen inhaltsleer“ beschrieben, da er „so gut wie nichts über das Wesen dessen aus[sagt], was faschistisch ist oder sein soll“. Darin unterscheide sich dieser Ismus ganz entscheidend von anderen Ismen, wie Konservativismus, Liberalismus oder Sozialismus. „Ein fascio ist ein Verein, ein Bund, “daher wären Faschisten wörtlich übersetzt „Bündler“ und „Faschismus“ wäre Bündlertum.” (In solcher Betrachtungsweise wäre als “inhaltsleer” dann logisch, daß ein “Anti” damit gegen “alles” kämpft, was er sich gerade aussuchen will.)

Kurz gesagt: Wie wollen wir jetzt und für die Zukunft verfahren?

Gut daß der Kaiser seinen Konfuzius hatte:

Als der chinesische Philosoph und Religionsstifter Konfuzius (511-479 v. Chr.) von seinem jungen Kaiser gefragt wurde, was er tun müsse, um sein zerrüttetes Reich wieder in Ordnung zu bringen, antwortete er:

„Stelle die Bedeutung der Begriffe wieder her und dulde keine Unordnung in den Worten.“

Wenn die Worte nicht stimmen, stimmen die Begriffe nicht.
Wenn die Begriffe nicht stimmen, wird Vernunft verwirrt.
Wenn die Vernunft verwirrt ist, gerät das Volk in Unruhe.
Wenn das Volk unruhig wird, gerät die Gesellschaft in Unordnung.
Wenn die Gesellschaft in Unordnung gerät, ist der Staat in Gefahr.

Oder auch so betrachtet:

Wenn die Worte nicht gestimmt hatten, dann war das Gesagte nicht das Gemeinte gewesen. Wenn das, was gesagt wurde, nicht gestimmt hatte, dann hatten die Werke nicht gestimmt. Waren die Werke nicht gediehen, so verdarben Sitten und Künste. Darum sollte jeder darauf achten, daß die Worte stimmen. Das wäre das Wichtigste von allem.

Ich meine, daß die Fähigkeit der Diskriminierung, nämlich des präzise Unterscheidenkönnens, eine Voraussetzung dafür ist, saubere Diagnosen leisten zu können. Und ohne saubere Diagnose kann kein sauberer Plan entwickelt werden. Und damit wird eine ständige Überprüfung und Anpassung der Handlungen im Sinne eines “Steuerns” obsolet.

Ein Seefahrer, der die Sterne nicht unterscheiden kann, ist verloren, ein Maler, der seine Farben nicht unterscheiden kann, macht allenfalls “bunte Bilder”, ist aber zu Meisterwerken nicht mehr imstande. Die alten Yogis sprachen von der “Kraft der Unterscheidungsfähigkeit”.

 

Dietmar Hannebohn

Dietmar Hannebohn

Dietmar Hannebohn ist seit 1977 selbständiger Strategie- und Kommunikationsberater