Über Konzentration

Es ist von außerordentlicher Bedeutung zu wissen, was Konzentration ist und sich darin zu üben, denn nur dadurch kommen wir zu innerer und äußerer Sicherheit.

Die Macht der Gewohnheit lässt unsere Aufmerksamkeit ständig umherschweifen. Wer aber mit Ausdauer übt, wird seine Aufmerksamkeit immer wieder zurückziehen und seine Bewußtheit erweitern können. Es ist die Notwendigkeit dieses ständigen Zurückrufens, das im Anfänger ein Gefühl der Anstrengung hervorruft. Eine wirkliche Anstrengung aber, der Bedenken und Besorgnis anhaftet, vereitelt jedes Weiterkommen. Im allgemeinen wird man beobachten können, daß im Stadium fortgeschrittener Meditation die Atmung sehr langsam wird und die Körpertätigkeit faktisch zum Stillstand kommt, weil die Aufmerksamkeit von der äußeren Welt abgezogen ist. Umgekehrt kann man durch bewusste Lenkung der Körper-und Atemtätigkeit innere Gelassenheit herbeiführen.

Ein ganzes System von Übungen – als Yoga bekannt – wurde entwickelt, das diesem Bedürfnis entgegenkommt, und, wie jeder herausfinden kann, lassen sich mit Yogaübungen und allen ähnlichen Methoden wissenschaftlich überprüfbare Ergebnisse erzielen.

  1. Konzentration

Ein viel gebrauchtes und selten richtig verstandenes Wort ist Konzentration. Allzu oft wird damit die Vorstellung einer Anwendung von Willenskraft und Anstrengung verbunden, um etwas bestimmtes zu erreichen. Konzentration bedeutet nichts anderes als Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf einen Punkt, und solange es uns gelingt, den Strom der Aufmerksamkeit gleichmäßig zu erhalten und wir keine Ablenkung erlauben, dazwischen zu treten, erfordert Konzentration keinerlei Anstrengung.

Unsere Tüchtigkeit in der Lebens Meisterung hängt in hohem Maße von unserer Konzentrationsfähigkeit ab. Wer sich zu konzentrieren versteht, vollbringt in wenigen Stunden mehr als ein Durchschnittsmensch in vielen Tagen oder Wochen. Darum kann ein mit Enthusiasmus nach Erkenntnis strebender Mensch durch sicher gelenkte Aufmerksamkeit die Zeit seiner Entfaltung verkürzen und schon in diesem Leben Erleuchtung finden, anstatt den mühsamen Weg durch etliche Leben zu nehmen. Wer die Kunst der Konzentration beherrscht, hat das Rätsel der Selbstbefreiung gelöst.

  1. Beherrschte Konzentration führt zu innerer Ruhe und verhindert die Bildung von Denkmodellen

Wenn es auch vollkommen richtig ist, Denkmodelle zu entwickeln, um den Strom der ewig sich regelnden Lebenskraft in die Formbildung zu lenken und so das Leben zu gestalten, es zu beherrschen und unseren Wünschen entsprechend einzurichten – in der Meditation müssen wir das Aufkommen von Denkmodellen verhindern, da sie uns bei unseren Übungen nur stören. Wir geben aber unsere Gewohnheit, Denkmodelle zu formen, nicht deshalb auf, um durch Vergegenwärtigung eines eigenen Bildes vom Unendlichen zu einem inneren Erlebnis zu kommen, sondern damit unser Erkennen frei bleibt von Gedankenassoziationen und Trugschlüssen.

  1. Vollendung in der Ausübung der Konzentration befähigt zur Erfahrung der absoluten Wirklichkeit

Da unsere Identifikation mit Ideen und unsere Verwirklichung von Ideen in uns ein Gefühl des Getrenntseins von der Wirklichkeit hervorrufen, leuchtet ein, daß ein Ausschalten der Gedanken und vollkommene Identifikation mit unserer wirklichen Natur zur Erkenntnis unserer eigenen Selbstbewußtheit führen muß und zum Begreifen dessen, daß diese nichts anderes ist als allgegenwärtige Bewußtheit. Die rastlose Gedankentätigkeit des Individuums ist es, die seine Umwelt schöpferisch gestaltet. Doch da der Mensch das Geschaffene irrtümlicherweise als das Verursachende ansieht und nicht erkennt, daß alles in Erscheinung getretene nur Auswirkung ist, macht er sich eine falsche Vorstellung vom Leben, er verfällt einer Täuschung, weil er mit falschen Voraussetzungen rechnet. Mit unrichtigen Angaben können wir immer nur zu einer falschen Beurteilung der Sachlage kommen, selbst wenn unsere Beweisführung noch so korrekt ist. Genauso ist die Einbildung, nichts zu sein als eine hilflose Kreatur, ein Mißverständnis des Menschen seiner selbst, aus dem sich alle seine Schwierigkeiten ergeben.

  1. Im gewöhnlichen Bewußtseinszustand geht der Mensch ganz in seinen eigenen Gedankenschöpfungen auf

Genau genommen ist alles, was der Mensch wahrnimmt, ein Produkt seiner Vorstellung. Wie sich seine persönliche Welt nach seiner gedanklichen Haltung gestaltet, so formt sich unsere größere Welt nach der allgemein herrschenden Einstellung. In Wirklichkeit bringt der Mensch allerdings nicht selbst hervor, er faßt es nur ins Auge; auch hat er die Fähigkeit, eine bereits erschaffene Form nach Belieben aus einer Dimension in eine andere zu bringen. Wenn zum Beispiel ein heiliger oder Weiser etwas zu erschaffen scheint, so ist der wirkliche Vorgang der, daß er die Idee des Dinges aus dem Ideenreich hervor holt und sie veranlaßt, in dieser Dimension in Erscheinung zu treten. Dadurch werden Teile dichter Substanz unserer Dimension in Bewegung gesetzt, um sich um das Gedankenmodell herum zu formieren. Während es also den Anschein hat, als ob etwas aus dem Nichts geschaffen worden sei, müssen wir begreifen, daß die Idee – wenn auch auf unserer Ebene nicht wahrnehmbar – schon existierte, und daß sie nur zum Ausdruck gebracht werden mußte. Dies scheint eine besondere Macht vorauszusetzen; in Wirklichkeit aber handelt es sich dabei nur um die Fähigkeit, durch Wissen um das Gesetz von einer Möglichkeit Gebrauch zu machen. Wenn der Durchschnittsmensch so etwas nicht fertig bringt, so darum, weil er zu überzeugt ist von der “Wirklichkeit” und Unumstößlichkeit unserer Dimension und nicht erkennt, daß in Wahrheit alles im Fluß ist und leicht von einem schöpferischen Gemüt geformt werden kann.

Die ganze Reihe der Probleme des Menschen, seine Schwierigkeiten und Mängel, seine seelischen Leiden, das Schwinden der Energie und sein schließlich irdischer Tod entstehen aus seinem falschen Selbstverständnis.

Aus: “Die Macht der Seele“, mit Kommentaren von Roy Eugene Davis auf die Yoga-Sutren von Patanjali.

Roy Eugene Davis

Roy Eugene Davis

Roy Eugene Davis ist Gründer und Leiter des Zentrums für spirituelles Bewusstsein (CSA, Lakemont/GA). Alle authentischen Aufklärungstraditionen werden hier geehrt und die angeborene, göttliche Natur jedes Menschen wird anerkannt. Roy Eugene Davis begann 1949 seine spirituelle Schulung bei Paramahansa Yogananda und wurde von ihm in Meditationsmethoden wie Kriya Yoga eingeweiht. Seit mehr als 50 Jahren lehrt er weltweit die geistigen Gesetze sowie Kriya Yoga.
Er ist weltweit anerkannter Autor vieler Bücher in mehreren Sprachen, die auf die Fragen der Zeit inspirierende Antworten geben, und die in allen fünf Kontinenten verbreitet sind.