PARTNERSCHAFTLICHE ZUSAMMENARBEIT

Als ich das neue Buch von Dr. Thomas Gordon, die »Patientenkonferenz «, las, erinnerte ich mich daran, wie es ist, wenn ärztliche Fürsorge und fachliche Kompetenz in Form von Anweisungen (z.B. »Sie werden sofort ins Krankenhaus gehen.«) oder Drohungen (z.B. »Ich kann die Verantwortung nicht übernehmen, wenn wir nicht sofort handeln.«) ausgesprochen werden. Obwohl ich immer wußte, daß der jeweilige Arzt besorgt war und mein Bestes wollte und ich grundsätzlich eine kooperative und einsichtige Patientin bin, versetzten mich derartige Aussagen in Angst und Schrecken.

Die Untersuchungen und operationsvorbereitenden Maßnahmen hatten eine ähnlich einschüchternde Wirkung. So wurde ich z.B. über das »Warum« und »Wie« eines Eingriffs in Form eines Handzettels informiert – allein gelassen auf dem kühlen Krankenhausgang mit all dem medizinischen Fachvokabular und den ausführlich beschriebenen gesundheitlichen Folgen bei auftretenden Komplikationen. Meine Fragen konnte ich nur an vorbeieilendes Personal richten. Zu Untersuchungen wurde ich »abberufen«, wobei ich erst im Untersuchungsraum selbst erfuhr, was eigentlich gemacht wird – indem es einfach gemacht wurde.

Ich fühlte mich beschämt, hilflos ausgeliefert, entmündigt und schwebte in ständiger Angst, weil ich nicht wußte, was als nächstes auf mich zukam. Mit dem Ergebnis, daß ich mich am Morgen des Operationstages in ein schluchzendes und zitterndes kleines Ding verwandelt hatte, bar jeder Fassung, Einsicht oder Kooperationsbereitschaft von Selbstbewußtsein ganz zu schweigen. Statt dessen sah ich mich unaufhörlich weinen und verweigernd den Kopf schütteln, um mir ein letztes bißchen Würde und Mitspracherecht zu bewahren. Die Reaktion des Pflegepersonals auf dieses Verhalten? »Die Schwester bringt Ihnen gleich eine Beruhigungsspritze.« Und das alles, obwohl ich im Grunde meines Herzens froh und dankbar bin, wenn sich kompetente Menschen meiner annehmen und verantwortlich handeln, da ich – medizinisch halb- bis ungebildet und unfähig – oft nichts weiter tun kann, als mich in helfende Hände zu begeben.

Doch wann immer ich ärztliche Hilfe benötigte, war mein Bedürfnis nach Hilfe überschattet von dem Wunsch, ernst genommen, informiert und in die Entscheidungsfindung einbezogen zu werden. Entsprechend bockig entgegnete ich damals auf die dargebotene Spritze: »Mein Valium kommt gleich. Ihres brauch’ ich nicht.« Und zum Glück kam »es« auch bald zur Tür herein: Meine beste Freundin. Und wie beruhigte sie mich? Sie nahm meine Hand und sagte bloß: »Du hast ganz schön Schiß, gell?« Sechs Worte – völlig chemiefrei, weder intravenös noch intramuskulär verabreicht, sondern schmerzfrei und sanft in mein Ohr gedrungen – und ein paar Minuten später war ich, zwar noch immer nicht beglückt über den Eingriff, jedoch entspannt und somit »OP-fertig«.

Es kam nicht nur einmal vor, daß ich am Morgen nach einer Operation auf eigenes Risiko das Krankenhaus verließ. Lieber setzte ich mich der Gefahr aus, bei auftretenden Komplikationen nicht schnell genug ärztliche Versorgung zu erhalten, als mich derart ausgeliefert und entmündigt zu fühlen. Eine Tat, die niemals in meinem und auch nicht im Interesse des behandelnden Arztes war.

Kommunikationstraining für Menschen, die sich um Kranke kümmern

Es ist bereits wiederholt erwähnt worden, daß sich die Gordon-Methode wunderbar auf alle Lebensbereiche anwenden läßt. Doch oft ist es hilfreich, Beispiele oder berufs- bzw. situationsspezifische Anleitungen zu erhalten. Zu diesem Zwecke schrieb Dr. Thomas Gordon die »Familienkonferenz«, »Managerkonferenz«, »Lehrer-Schüler-Konferenz« und seine Frau, Linda Adams, die »Frauenkonferenz«. Jetzt erschien in Zusammenarbeit mit dem Chirurgen Dr. W. Sterling Edwards die »Patientenkonferenz«. Ein Buch, wie es im Vorwort heißt, das »für alle im Gesundheitswesen Tätigen gedacht [ist], die unmittelbaren Kontakt zu Patienten haben, also Ärzte, Krankenschwestern, Psychologen, Krankenhausgeistliche und Sozialarbeiter. Es richtet sich aber auch an alle anderen, die sich um kranke Menschen kümmern: ehrenamtliche Helfer in Krankenhäusern und Hospizen, das Personal in Pflegeheimen, Lebenspartner, Familienangehörige und Freunde. Das Buch beschäftigt sich im wesentlichen mit der Frage, wie die Kommunikation zwischen diesen Personengruppen und den Patienten verbessert werden kann«.

Weiter heißt es: »Zahllose Untersuchungen haben gezeigt, daß ein hoher Prozentsatz der Patienten im Lauf der Zeit mit ihrem Verhältnis zu Ärzten und Pflegepersonal unzufrieden wird. Und die Ursache dieser Unzufriedenheit liegt selten in fachlicher Inkompetenz, sondern eher in ungenügender Kommunikation: Viele Patienten trauen sich nicht, Fragen zu stellen oder alles anzusprechen, was sie beunruhigt, und oft verstehen sie nicht, was Ärzte oder andere Bezugspersonen ihnen eigentlich sagen wollen. Untersuchungen, bei denen man Tonbandaufnahmen von Gesprächen zwischen Ärzten und Patienten gemacht hat, zeigen, daß die Patienten oft unterbrochen und wenig einfühlsam behandelt werden.

Die nicht professionellen Helfer – Lebenspartner, Familienangehörige, Freunde – werden von einer schweren Krankheit beinahe ebensosehr aus der Bahn geworfen, als ob sie selbst betroffen wären. Mit dem Auftreten der Symptome und der Diagnose bedrängen sie Sorge und Angst vor dem, was da auf sie zukommt. Den meisten Menschen fehlt es an Erfahrung, wie man mit den emotionalen Veränderungen des Kranken umgeht, und erst recht, wie man seine eigenen Gefühle erkennt und sich darauf einstellt. Und die meisten Laien verfügen nicht über das kommunikative Rüstzeug, das es Patienten leichter macht, über ihre Probleme zu sprechen oder Gefühle offen zu zeigen. ( … )

Professionellen wie nicht-professionellen Helfern ist es möglich zu lernen, wie man erreichen kann, daß Kranke Frieden und Hoffnung finden und ein sinnerfülltes Leben führen, unabhängig davon, wie die körperliche Erkrankung verläuft. Die Beziehung zu Patienten kann eine Partnerschaft werden, in der man sich gegenseitig hilft, respektiert und vertraut. ( … ) Jeder von uns kann irgendwann in die Lage kommen, einen kranken Angehörigen oder Freund betreuen zu müssen. Die Autoren hoffen, daß dieses Buch nicht nur Ärzten und Pflegepersonal von Nutzen ist, sondern auch allen anderen Helfenden, denen daran liegt, Patienten in den Stand zu setzen, mit ihren Schmerzen, ihrer Einsamkeit, ihren Ängsten und Hoffnungen konstruktiver umzugehen.« (»Patientenkonferenz «, S. 7-10)

DER PATIENT ALS GLEICHBERECHTIGTER PARTNER

Patienten als gleichberechtigte Partner anzusehen, mag so manchen im Gesundheitswesen Tätigen entsetzen. Der Grund dafür liegt sicherlich nicht nur in der vielleicht abschreckenden Vorstellung, sich als helfender Berater »umschulen« zu lassen, von dem nicht nur medizinische, sondern auch noch kommunikative Fähigkeiten verlangt werden. Die ablehnende Haltung kann auch auf die Befürchtung zurückzuführen sein, daß die Kommunikationsmethode notwendige therapeutische Maßnahmen erschwert und verzögert, wodurch die Genesung des Patienten aufs Spiel gesetzt und ihre fachliche Kompetenz in Frage gesteIlt werden könnte. Nicht zu erwähnen · die von der Gesundheitsreform festgelegten Zeiten für Gespräche zwischen Arzt und Patient, die einen Mehraufwand ohne finanzielle Entschädigung als Konsequenz vermuten läßt. Auch die Erkrankten selbst und ihre Angehörigen kann die Idee einer gleichberechtigten Arzt-Patienten-Partnerschaft zunächst beängstigen und überfordern: Wie soll es möglich sein, eine Entscheidung zu fällen und diese mitzutragen, wenn ich von der Sache nichts verstehe und darüber hinaus durch eine Krankheit körperlich und emotional beeinträchtigt bin? Ärzte, Patienten und Familienangehörige berichten jedoch, daß sowohl die Behandlungsergebnisse, als auch die zwischenmenschlichen Beziehungen von der gleichberechtigten Zusammenarbeit profitierten. Patienten erholen sich z.B. schneller von ihren Eingriffen und die Auffassung, daß Patienten-Mitbestimmung mehr Zeit kostet, wird durch mehrere Studien widerlegt. » … in der traditionellen Arzt-Patienten-Beziehung verstehen Patienten Anordnungen häufig falsch, vergessen wichtige Schritte, die im Behandlungsplan vorgesehen sind, oder halten sich nicht an die Anordnungen ihres Arztes.

Solche Auswirkungen unzureichender oder mangelhafter Kommunikation in der Beziehung zu korrigieren, kostet später häufig zusätzliche Zeit.« (Ballard-Reisch, 1990, zitiert in »Patientenkonferenz«, S.56). Tatsächlich benötigen Patienten, die aktiv in die Entscheidungsfindung und Behandlung einbezogen werden, weniger Medikamente und es kommt seltener zu Komplikationen. (Siegel, 1991, zitiert in »Patientenkonferenz«, S. 56f)

DIE GORDON-METHODE IN DER MEDIZINISCHEN PRAXIS

Die Vorteile effektiver Kommunikation in der medizinischen Praxis sind bereits in Forschungsarbeiten erfaßt worden. Hier nur einige Beispiele (»Patientenkonferenz«, S. 34f):

  • Ärzte erhalten detailliertere medizinische Daten und erstellen genauere
  • Diagnosen;
  • Patienten haben mehr Vertrauen zu ihren Betreuern;
  • Patientenwiderstand gegen Therapie und Behandlungskonzept wird verringert;
  • Patienten können seelische Spannungen leichter abbauen;
  • Patienten befolgen ärztliche Anweisungen häufiger;
  • Arztbesuche verlaufen zu größerer Zufriedenheit der Patienten;
  • Patienten werden bei einer Einweisung ins Krankenhaus nicht so leicht hilflos,
  • abhängig und depressiv;
  • Patienten können das Krankenhaus eher verlassen;
  • Patienten wechseln ihre Ärzte nicht so häufig und kehren eher zum selben Arzt zurück;
  • Patienten sind eher optimistisch und zeigen “ausgeprägten Lebenswillen.

ARZT/PATIENT – EINE ARBEITSTElLIGE, PARTNERSCHAFTLICHE BEZIEHUNG ZWISCHEN EXPERTEN

Ärzte sind darauf angewiesen, von ihren Patienten notwendige Informationen zu erhalten, um eine Diagnose und eine auf den Patienten zugeschnittene, erfolgreiche Therapie erstellen zu können. In gewissem Maße verfügt auch der Patient über Sachkenntnis: Nur er allein weiß um seine Beschwerden, seine Krankengeschichte und um eventuelle Abneigungen gegenüber manchen Behandlungsmethoden, die – würden sie angewandt – der Genesung abträglich wären. Die Arzt-Patient-Beziehung wird »in ihrer idealen Form zu einer arbeitsteiligen Beziehung – einer Partnerschaft zwischen Experten. In dieser Zusammenarbeit ist jeder für den anderen wichtig; jeder kennt wichtige Fakten, die dem anderen nicht zugänglich sind; und es ermuß eine effektive Kommunikation in beide Richtungen entwickelt werden «. (»Patientenkonferenz«, S. 54f)

Zu diesem Zwecke benötigen Ärzte Kommunikationsfertigkeiten. die es dem Patienten ermöglichen, sich zu öffnen. In der »Patientenkonferenz« wird von einer Patientin berichtet. die sich einer Hornhauttransplantation unterzog und sich für eine lokale Betäubung ohne Beruhigungsmittel entschieden hatte. Als jedoch der Eingriff kurz bevor stand, wurde sie plötzlich nervös (»Patientenkonferenz«, S. 61):

Patientin:

Ich werde nervös.

Schwester:

Keine Angst, Molly, Sie machen das prima!

(Die Patientin sagte, es habe sie irritiert, als diese Krankenschwester ihre Ängste zu leugnen versuchte, indem sie ihr versicherte, daß es ihr gutgehe, während sie doch tatsächlich kurz davor war, die Nerven zu verlieren. Der Arzt spürte allerdings, was los war.)

Arzt:

Was ist los. Molly? Ich bin doch bei Ihnen.

Patientin:

Ich weiß nicht. Ich werde nervös. und ich möchte Beruhigungsmittel.

Arzt:

Das geht nicht, Molly. Sie wollten doch selbst nach Hause fahren.

Patientin:

Ich weiß, aber ich werde nervös, und mein Magen ist leer, und ich habe Hunger, und ich fühle mich einfach nervös.

Arzt:

Also, was soll ich tun? Soll ich reden? Soll ich nichts sagen? Was brauchen Sie?

Patientin:

Erzählen Sie mir doch immer, bei welchem Stich wir gerade sind und was Sie machen, dann weiß ich, wie lange es noch dauert, bis wir fertig sind.

Arzt:

Okay. Es läuft prima. Ich bin mit dem dritten Stich fast fertig. und es sind nur ein paar übrig.

(Der Arzt ließ die Patientin, Stich für Stich, bis zum Ende des Eingriffs am Ablauf des Geschehens teilnehmen, wie er das versprochen hatte. Die Patientin berichtete, daß unmittelbar nach der Unterhaltung mit dem Arzt ihre Ängste verschwunden gewesen seien; sie habe sich für die restlichen fünfzehn Minuten in der Ambulanz voller Zuversicht und entspannt gefühlt.)

Leser des Buches »Gesund und fit ins hohe Alter dank Chelat-Therapie« wurden bereits von den Autoren dazu ermutigt, ihre Gesundheit und medizinische Behandlung eigenverantwortlicher und selbstbestimmter in die Hand zu nehmen. Neben den von Arline und Harold Brecher skizzierten Anleitungen bietet nun die »Patientenkonferenz« eine hilfreiche Methode, die medizinische Fachkräfte, freiwillige Helfer, Angehörige und betroffene Patienten darin unterstützt, die Beziehung von Arzt/Betreuer und Patient sowie die Heilungsergebnisse zu verbessern.

Da Gordon und Edwards neben der Kommunikationsmethode auch eingehend die Bedürfnisse sowohl von Ärzten als auch von Patienten und die unterschiedlichen Situationen beschreiben, mit denen Erkrankte und Mediziner konfrontiert werden, lassen sich aus diesem Buch hilfreiche Erkenntnisse ziehen, die dazu dienen, sofort zu handeln oder vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen, um im Falle einer Erkrankung sowohl besser für das eigene als auch für das gesundheitliche Wohl eines Mitmenschen sorgen zu können. Das Buch bietet also u.a. Antworten und Hinweise zu Fragen und Problemen wie:

  • Welche kommunikativen Mittel stehen mir zur Verfügung und wann kann ich sie anwenden?
  • Was ist zu tun, wenn Helfender und Patient einen Konflikt haben? (Z.B.: Der/die Patient hält sich nicht an die vereinbarte, regelmäßige Einnahme eines Medikaments. Oder: Arzt und Patient sind sich über die gewünschte Behandlungsmethode nicht einig.)
  • Wie gehe ich mit Schamgefühl, Angst, Panik, Verweigerung, Tränen, Depression etc. um?

Literatur:
Gordon. Thomas und W. Sterling Edwards: Patientenkonferenz.
Ärzte und Kranke als Partner.
Hoffmann und Campe. 1997.

Brigitte K. Schneider

Brigitte K. Schneider

Brigitte K. Schneider studierte Anglistik, Germanistik und Romanistik mit Schwerpunkt Sprachwissenschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt.