Wahre Liebe (4)

Wahre Liebe – die vereinende Kraft des Universums

Wahre Liebe läßt frei und vertraut darauf, daß die Menschen, die zu unserem Leben gehören, zu uns kommen, daß wir uns gegenseitig anziehen. In dem Empfinden wahrer Liebe sind wir fähig, Menschen aus unserem Leben scheiden zu lassen, auch dann, wenn wir noch gerne mit ihnen zusammen wären. Wir achten ihre Entscheidung und können sie, obwohl zurückgelassen, mit guten Gedanken auf ihrem Weg still und liebevoll mit allen guten Wünschen begleiten. Sie müssen nicht zwingend mit uns leben, wenn sie andere Wünsche, Träume oder Neigungen haben. Denn wir sind nicht länger besitzergreifend.

Ernest Holmes sagt: Liebe ist die Selbst-Hingabe des Geistes durch den Wunsch des Lebens, sich selbst durch seine Schöpfung zum Ausdruck zu bringen. Für viele Philosophen und Lehrer ist Liebe gleichbedeutend mit Gott. Ebenso steht im Neuen Testament, im ersten Brief des Johannes, Kapitel 4, Vers 8: “Wer nicht liebt, kennt Gott nicht, denn Gott ist Liebe.” Liebe ist frei von Verdammung, von Richten und Verurteilen. Liebe ist frei von Furcht. Liebe ist die göttliche Idee universaler Einheit. Liebe verbindet die gesamte Schöpfung. Liebe ist eine kosmische Kraft, deren Strom unwiderstehlich ist.

Im Menschen kommt diese vereinende Liebe auch durch hingebungsvolles Dienen zum Ausdruck. Hingebungsvolles Dienen bedeutet nicht nur, den geliebten Menschen zu fördern und ihn zu unterstützen, sondern auch, am Arbeitsplatz sein Bestes zu geben, in der Familie, in der Gemeinde, gute Arbeit zu leisten und nicht zehnmal am Tag zu unterbrechen, um eine Zigarette zu rauchen, ständig in die Kantine zu rennen, lange private Gespräche oder Telefonate zu führen oder gar zehn Minuten zu spät zu kommen, um zehn Minuten früher gehen zu können. Wahre Liebe ist zuverlässig und treu. Wahre Liebe sucht nicht das Ihre, sondern fördert und ermutigt Mitarbeiter. Das gemeinsame größere Wohl bringt das eigene Wohl als natürliche Folge mit sich.

Setzt wahre Liebe Grenzen?

Kehren wir bei dieser Frage zum ersten Brief des Paulus an die Korinther, Kapitel 13, Vers 4 bis 6 zurück: »Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie blähet sich nicht, sie stellet sich nicht ungebärdig, sie suchet nicht das Ihre, sie läßt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freuet sich nicht der Ungerechtigkeit, sie freuet sich aber der Wahrheit.« Ich denke, soweit können wir alle Paulus folgen und seinen Rat nachvollziehen. Vielleicht stolpern einige noch über die Aussage: sie suchet nicht das Ihre. Hier ist gemeint, sie ist nicht egoistisch, sondern berücksichtigt das gemeinsame Wohl. Der Vers 7 ist ganz sicher eine Herausforderung: »sie verträgt alles, sie glaubet alles, sie hoffet alles, sie duldet alles.” Erheben sich hier nicht Fragen wie: Können wir Gewalttätigkeiten zulassen, wirklich alles glauben und alles dulden? Ich bitte nochmals darum, den gesamten Brief des Paulus zu lesen, denn er hat diesen Brief an ein Volk geschrieben, das sich immer noch zankte, obwohl es von den Lehren Jesu wußte, und nicht nach ihnen lebte. Sein Aufruf galt also den um die Lehre Jesu Wissenden, ihr Wissen in die Tat umzusetzen. Und genau das sollten auch wir untereinander leben. Wenn andere Menschen uns ein Verhalten aus ihrer Unwissenheit entgegenbringen, dann spricht im Innern das Herz, das von wahrer Liebe bewegt ist: “Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.”

Aber “wir widerstehen dem Übel nicht”, weil Widerstand leisten die Gewalt verschlimmert. Wir leben nicht mehr in dem Bewußtsein “Auge um Auge, Zahn um Zahn”. Sanftmut siegt.

An den Worten Paulus an die Korinther können wir unsere Liebesfähigkeit überprüfen. Wie weitgehend sind wir langmütig und freundlich und wann kommt unsere »Belastbarkeitsgrenze«, an der wir sagen, jetzt hört meine Geduld und Freundlichkeit auf? Wie lange sind wir geduldig, aufbauend und lebensbejahend mit den Kindern, unserer Familie, den Freunden und Mitarbeitern? Wieviel mal sollen wir vergeben? Siebzigmal siebenmal.

Der ernsthaft strebende Geistesschüler wird sich in der Disziplin des äußeren und inneren Schweigens üben und durch kluges und liebevolles Bemühen im Schweigen alles der wahren Liebe Entgegengesetzte auflösen.

In den Yoga-Sutren von Patanjali lesen wir die von ihm an den Geistesschüler gegebene Empfehlung, sich jeglicher Gewalttätigkeit zu enthalten. Wenn unser Gemüt entsprechend geläutert ist und keine Neigung mehr in uns vorhanden ist, einem anderen Menschen zu schaden, werden auch wir die Erfahrung machen, daß andere uns nicht mehr verletzen möchten.

Meine Erfahrung ist, daß ich oft geglaubt habe, ich wollte anderen nicht mehr weh tun und tue es doch. Wenn uns dann etwas im Verhalten anderer uns gegenüber schmerzt und wir halten inne, bevor wir reagieren, können wir die Wunden in uns erkennen. Indem wir nicht reagieren, sondern eine Korrektur im eigenen Gemüt vollziehen, können diese Wunden heilen. Das ist ein Gesundungsprozeß, der noch lange schmerzt. Wahre Liebe ist die einzige Macht, die uns daraus befreit.

Das Gesetz von Ursache und Wirkung In dem Entwicklungsprozeß unserer Liebesfähigkeit werden wir von Zeit zu Zeit unsere Grenzen und Begrenzungen erweitern, sehr zu unserem Segen. Wir werden die Grenzen um das Maß erweitern, wie wir bereit sind, dem Schmerz zu begegnen und ihm nicht länger auszuweichen, indem wir verdrängen oder nicht wahrhaben wollen. Wenn wir ehrlich üben, gelingt es uns, unseren guten Willen immer mehr zum Ausdruck zu bringen. Paulus sagt: Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes. Wenn wir lernen, dem Gesetz zu gehorchen, dann wird das Gesetz unser Diener.

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Rosemarie Schneider-Bassett

Rosemarie Schneider-Bassett

Rosemarie Schneider-Bassett war über 25 Jahre lang Autorin mit vielen hundert Veröffentlichungen und Audio-Kursen sowie Seminarleiterin in mehreren europäischen Ländern sowie in den USA.