Kultur – Leitkultur – Unternehmenskultur

Anregungen zur Betrachtung von Kultur(en)

Was mich tatsächlich etwas aufregt sind jene Politiker, die von einer “Leitkultur” reden und meinen, so etwas könnte man “einfach so” definieren, und dann wäre das schon Realität. Einmal absehend von weit verbreiteter “Allwissenheit” (als Minister muß man ja über sein Fachgebiet nichts mehr wissen, geschweige denn selbst handhaben können): Vielleicht ein paar gesponsorte Interessensgruppen, noch ein paar (Hass)Gesetze und Appelle der Kirchenvertreter, zur Abrundung, und – das selbstverständlich – eine breit darüber berichtende Journalistenschar: Fertig ist das “Kulturmanagement”. Aber so einfach ist das (leider) nicht.

Der vielfache Gebrauch der Begriffe besagt ja noch lange nicht, daß Diejenigen, die darüber reden, das Thema auch verstanden haben. Daß dieses durchaus so sein könnte schließe ich aus der inflationären Diskussion unserer Politiker, aber auch aus den teils oberflächlichen, teils dürftigen Darlegungen von Journalisten. Jenseits der vielfältigen und allseits bemerkbaren Sprachverfälschungen, auf die ich in einem späteren Beitrag eingehen werde, ist wohl selten operationalisiert worden, was sich im Begriff “Kultur” verbirgt. Und dort, wo es erfolgte, ist das anscheinend nicht ausreichend zur Kenntnis genommen worden, geschweige daß auf solcher Basis schlüssige Handlungsprogramme entstanden wären. Geredet wird viel zuviel “über” etwas, besonders über Menschen (und Einzelschicksale), aber viel zuwenig “von”, d.h. stoffbezogen. Dementsprechend finden wir üblicherweise nur fahrige, phantasierende  Aussagen, jedoch keine konkreten Handlungsprogramme. (Man mag mir nachsehen, daß ich nicht alle politischen Programme durchstudiert habe, aber das, was mir zu Ohren oder zu Augen gekommen ist, ist in den meisten Fällen weder wissenschaftlich noch in den jeweils dargelegtem Formen anwendbar.)

Einer meiner Lehrer pflegte zu sagen: “Alles, was Du nicht in eine Schubkarre legen kannst, kannst Du auch nicht verstehen.” In jedem Fall können wir das, was wir nicht in eine symbolische Schubkarre legen können, auch nicht handhaben. Handhaben ist gleichbedeutend mit managen von Manus = die Hand. Wir können es also sozusagen nicht “begreifen”.

Kurz zusammengefaßt: es reicht nicht, über eine Sache oder einen Sachverhalt zu reden, sondern wir sollten uns bemühen, verstehbar darzulegen und handlungsfertig offenzulegen.

Eine Annäherung

Leserinnen und Leser dieser Veröffentlichung mögen mir nachsehen, daß ich auf einem recht primitiven = einfachen Niveau verbleibe; tatsächlich sind die Sachverhalte außerordentlich komplex und für eine kurze Veröffentlichung im Internet weniger geeignet.

Eine besondere Schwierigkeit des Themas liegt darin begründet, daß wir, wollen wir uns dem Thema “Kultur” annähern, uns in einer Situation wieder finden, als würden wir auf eine unendliche Meeresoberfläche schauen. Wir sehen die vielen unterschiedlichen Wellen, die Wellenbewegungen, Mond, Sonne oder Wolken spiegeln sich auf der Wasseroberfläche. Was die Wellen so erzeugt, wie wir sie beobachten, darüber haben wir unsere Glaubenssätze (Wind in seinen unterschiedlichen Formen, das haben wir mal so gelernt). Die sich – auch summierenden – Windkräfte, die Temperaturunterschiede, die stärkere oder schwächere Spiegelung von Himmelsereignissen, all das können wir einigermaßen beobachten. Gleichwohl kennen wir die Kräfte nicht wirklich, können Sie in ihrem Zusammenwirken nicht berechnen. Insbesondere aber können wir keine Voraussagen machen, warum genau diese Welle in dieser Form und Höhe an genau diesen Platz erscheint. Gelegentlich können wir vielleicht einen Blick auf den Untergrund erhaschen und sehen, daß möglicherweise ein Felsen dafür verantwortlich ist, daß an einer bestimmten Stelle verstärkt Schaum entsteht oder sich Wellen überschlagen, oder daß ein Schwarm Fische ihren Weg zieht. Die gesamte Tiefe des großen Meeres mit all den darin zusammenwirkenden Kräften, mit den abermillionen Lebewesen, die darin interagieren, all das bleibt uns verborgen. Wenn wir Sonden einführen, können wir diesen und jenen Ausschnitt beobachten, Details messen, sichtbar machen. Es bleibt bei partiellen Ansichten; die Komplexität (kann ich auch nicht in die Schubkarre legen) bleibt uns aber verborgen.

Was wir beobachten und beeinflussen können

Was wir beobachten können, sind Muster, sind Wirkungsweisen. Auf diese kann im Rahmen von Maßnahmen Einfluß ausgeübt werden, eher im Sinne eines vorsichtigen Vortastens und folgenden Nachmessens von Veränderungen sowie wiederum Anpassens der im Sinne von “Ursachen” bewußt entschiedenen Einwirkungen.

Kultur als Prinzip?

Es gibt grundlegende Definitionen von “Kultur”, nur sind diese aus meiner Sicht wenig geeignet, konkrete Handlungsrahmen zu fundieren, präzise Handlungsprogramme zu definieren. Wie also mit “Kultur” umgehen? Dazu noch als Berater, von dem konkrete Aussagen und konkrete Programme erwartet werden?

Im Rahmen von Beratungsprojekten (Unternehmenskultur, Wahlkämpfe) in den 80iger und 90iger Jahren habe ich, gemeinsam mit meinem forschenden und beratenden Kollegen und Freund Hans Boss, einige Definitionen vorgenommen, um letztlich zu einem handhabbaren Arbeitsgerüst für Forschung und Maßnahmen zu kommen. Diese sind meines Erachtens handhabbar, insbesondere, wenn es um empirische Forschung geht, die “Kulturprojekte” immer vorbereiten und begleiten sollten. Selbst wenn die nachfolgenden Aussagen, auch in den vorliegenden Charts, sich auf “Unternehmenskultur” beziehen, so lassen sie sich doch – nach meiner Überzeugung – genauso gut anwenden auf die Fragen einer nationalen Kultur, wie sie mit dem (bewußt?) vagen Begriff einer “Leitkultur” angesprochen werden.

Dazu meine vielfach ausgesprochenen Überzeugungen:

  • Kultur IST (Kultur ist per se immer vorhanden, es gilt allenfalls, die Dimensionen und Ausprägungen zu identifizieren und zu beschreiben)
  • “Leitkultur” ist nonsens, eine “Deutsche Leitkultur” erst recht; was genau soll sie denn etwa leiten, wenn nicht einmal der Staat geführt, sondern schlecht verwaltet wird? Oder soll sie als “Überkultur” über Subkulturen hängen/gehängt werden, deren Wirklichkeiten ebenso nicht sauber erforscht oder definiert wurden?
  • “Kultur” impliziert tatsächlich immer, daß es auch “Subkulturen” gibt, so wie es unterschiedlichste Populationen in den Weltmeeren gibt. (Eine “Subkultur” kann aus letztlich einem einzigen Lebewesen bestehen!)
  • “Führungskultur” bezeichne ich – meines Erachtens präziser – als “Kultur des Führens”. (Wie schon Altkanzler Schmidt anmerkte: Leider ist der Begriff “Führung” durch vielfach und weit verbreitete Gehirnwäsche in Deutschland kaum diskutierbar – während in den USA schon ein einzelnes Unternehmen ohne “Leadership” undenkbar ist.) Die Kultur des Führens scheint in Deutschland seit Jahrzehnten abwesend.

Anmerkung: Wer in die Grundlagen von Führung vordringt, stößt zwangsläufig auf die vielfachen Wechselwirkungen mit Kultur oder Unternehmenskultur. Wer die kulturellen Merkmale analysiert, kann nur zur Aussage gelangen: Die Veränderung der Kulturmerkmale in Deutschland ist entweder sehr bewußt so angesteuert … oder aber beruht auf völligem Führungsversagen. Letzteren Fall nehme ich an: Vergleichen Sie einmal den Informationsgehalt einer Neujahrsrede von Wladimir Putin mit dem der Ansprache von Frau Dr. Merkel. Aber vielleicht will Frau Dr. Merkel ja nur so intelligent sein wie Nostradamus … den allerdings auch heute noch anscheinend wenige Superintelligente zu begreifen vermögen:

Die Verschlüsselungsmethoden des Nostradamus

„Die Schande der Zeiten aber, gnädigster König, macht es nötig, solche verborgenen Ereignisse bestenfalls in rätselhafter Sprache zu offenbaren, die nicht nur einen einzigen Sinn und eine einzige Aussage besitzt, was aber nicht bedeutet, daß eine zweideutige oder doppelsinnige Berechnung hinzugefügt worden ist.“ – Nostradamus (1558)
(Quelle: http://armin-risi.ch/Artikel/Sonstiges/Schluessel-zu-Nostradamus-Wendezeit-2012-oder-Weltende-3797.php)

Aber ich weiche ab, Verzeihung.

Kommen wir zurück auf mein Versprechen, einen einfachen  und verstehbaren, nachvollziehbaren Betrachtungsansatz darzulegen. Das mache ich hier in fünf Stufen.

Dimensionen von Kultur

Welche Dimensionen machen “Kultur” aus? Grob vereinfachend, wie bereits eingangs erwähnt, läßt sich Kultur in sieben Hauptdimensionen ausdrücken: Religion, Kunst, Wirtschaft, Wissenschaft, Soziales, Technik, Politik. Die Plus- bzw. Minuszeichen wurden von mir nach persönlicher Wahrnehmung vergeben. Lesebeispiel: Wirtschaft vollständig betont, Religion völlig zurückgetreten/keine wirkliche Bedeutung (mehr).

Betrachten wir diese Dimensionen (pauschal), drängt sich bereits hier der Eindruck auf, daß größere Ungleichgewichte bestehen, und daß einseitige Überbetonungen genauso wie Ausblendungen zu Verzerrungen führen, die wiederum “den hier Lebenden” nur eine lückenhafte Identifikation erlauben (vielen Zugewanderten vielleicht gar keine?).

Daraus ergeben sich eine Reihe von Fragestellungen, die im nebenstehenden Schaubild angedeutet sind. Hierzu noch einmal explizit der Hinweis: der Begriff Unternehmenskultur läßt sich leicht auswechseln durch den Begriff Kultur; trotzdem bleiben die aufgeworfenen Fragestellungen zutreffend.

Allein die hier angeführte Fragen-Kombination “Wie entsteht Kultur? Wie kann man darauf einwirken?” soll darauf hindeuten, daß umfangreiche thematische Auseinandersetzungen die zwangsläufige Folge dessen sein müssen, wenn man sich mit dem Thema Kultur ernsthaft beschäftigen will.

Prägungen

Jeder Mitarbeiter in einem Unternehmen, jeder Bürger (oder auch Gast) eines Landes bringt per se Grundprägungen in ein Unternehmen (oder Land) mit, oder in erweiterter Sicht: wirkt mit solchen Prägungen auf die soziale Gemeinschaft ein. Dies betrifft genauso die “noch nicht so lange hier Wohnenden” (und solche mit ähnlichen Schwurbeleien bezeichnete Menschen).

Das Schaubild zu den Grundprägungen eröffnet einige Perspektiven der Betrachtung. Was sich im Kontext einer Unternehmung auswirkt, wirkt sich gleichfalls in der Gesellschaft aus. Wenn wir die dramatischen Nachrichten der letzten Jahre betrachten, wird sehr schnell deutlich, was es bedeutet: das typisch männliche Rollenverhalten, die Beherrschung von Höflichkeitsformen, der Umgang mit Emotionen, das Aggressionsverhalten, Sprache und Ausdruck, Verhalten gegenüber (staatlichen) Autoritäten, usw. usw. Würden wir hierzu saubere empirische Untersuchungen durchführen, die tatsächlich wissenschaftlichen Standards genügen, werden wir auch sehr schnell feststellen können, was genau hier schief hängt. (Eine präzise Diagnose ist immer die Voraussetzung dafür, konkret und überprüfbar handeln zu können.)

Woher kommen solche Grundprägungen? Wie entstehen solche Grundprägungen?

Jeder Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter bringt solche Vorprägungen aus seinem familiären Umfeld und solche, die ihn (etwa durch Erlebnisse, allein oder in Gruppen) beeinflusst und/oder verändert haben, mit in “sein” Unternehmen ein. Dies trifft ebenfalls zu auf Asylanten, Flüchtlinge, Schutzsuchende (und welche Begriffe dafür immer auch erfunden werden sollten), die sich nun auf deutschem Staatsgebiet aufhalten.

Zwang und Gewaltanwendung, Strafe, Vorbilder, Provokationen, Ungerechtigkeiten: Alles das bleibt nicht zurück, etwa in der Familie oder in einem anderen Land, sondern wird eingebracht in die jeweilige Umgebung, in das jeweilige (neue) Umfeld, sei es eine Familie,  ein Unternehmen oder ein Staat.

Wenn also über Integration diskutiert wird, dann müssen die Erkenntnisse unvollständig bleiben, geht man nicht an die Wurzel, klärt nicht die Sachverhalte auf. Und je komplexer die Zusammensetzung der so genannten “Bevölkerung” eines Staates (oder Staatsgebietes, oder einer räumlichen Situation, oder einer sozialen Gruppe) sich darstellt, dazu noch unter dem Einfluß der Zuwanderung aus vielen verschiedenen “Kulturen” und Ländern, desto eher muß der Amtsschimmel überfordert und hilflos sein, und nicht einmal Universitäten wissenschaftlich fundierte Untersuchungen beisteuern, wenn sie diese denn überhaupt durchführen können. (Denn die Sponsorengelder aus politischen Quellen zeigen nachhaltige Wirkung: allzu oft soll anscheinend nur bestätigt werden, was der Auftraggeber längst entschieden hat. Das hört sich böse an, viele zur Kenntnis genommene Beispiele aus Politik und Wirtschaft bestätigen dies allerdings.)

Wie verfestigen sich solche Prägungen? Wie kommt es zu unterschiedlichen Ausprägungsgraden?

Die Begrenzung der Sicht (siehe oben) auf die Welt, auf andere Menschen und ihre Besonderheiten trägt sicherlich wesentlich dazu bei. Das Stichwort hierzu lautet: einseitige/selektive Wahrnehmung. Neben vielen anderen Einflußfaktoren trägt hier eine monotone Umwelt und ganz wesentlich eine fehlende Lernbereitschaft negative Früchte. Spitz karikierend könnte ich auch sagen: man kennt die Welt nur aus dem Fernsehen. Gehirnwäsche unterschiedlichster Art, sei es aus Politik, Religion oder archaischen Herrschaftsmustern entfaltet ihre subtile Wirkung – die in veränderten Umgebungsbedingungen plötzlich explosive Tendenzen entfalten kann.

Abschluß

Ganz sicher kann der vorstehende Beitrag die anstehenden Aufgaben nicht bewältigen, jedoch möglicherweise erhellend dazu beitragen, einfach systematisch zu arbeiten. Die Ergebnisse empirischer Untersuchungen kann wirklich keiner genau vorhersagen, und eventuell folgende Maßnahmenprogramme bleiben immer menschengemacht und erfordern ein kontinuierliches, sauberes Monitoring und eine laufende Adjustierung. Ohne Landkarte jedenfalls fällt eine gezielte Vorgehensweise schwer. Aber selbst mit einer sauberen Landkarte und einem guten Kompaß (normalerweise das bereits bestehende, bewährte Wertesystem, von dem ausgehend Abweichungen gemessen werden) können wir eine Landschaft nur erforschen, wenn wir sie beschreiten – und auf uns einwirken lassen. Da wird es dann immer wieder Überraschungen geben, die uns vor neue Entscheidungen stellen werden.

Viel Spaß und viele Erkenntnisse auf Ihrer persönlichen Forschungsreise.

Dietmar Hannebohn

Dietmar Hannebohn

Dietmar Hannebohn ist seit 1977 selbständiger Strategie- und Kommunikationsberater