aus der Reihe “SEHNSUCHT LIEBE”

Den letzten Artikel habe ich damit begonnen, daß die Liebe in einer Partnerschaft zu sterben scheint, wenn wir mit unserem/er Partner/in nicht mehr über alles sprechen. »Sie stirbt jedoch nicht wirklich, sie ist lediglich in uns vergraben, weil wir sie ständig mit verschiedenen Einstellungen und Verhaltensweisen zudecken.«

Die Liebe kann nicht mehr fließen, wenn toxische (giftige) Scham und Gefühle von Schuld uns daran hindern, uns mitzuteilen und zu zeigen, welcher Schmerz hinter unseren Einstellungen und Verhaltensweisen steckt. Da ich selbst ein schamgeprägtes Kind bin, weiß ich aus meiner eigenen Lebensgeschichte sehr wohl, mit wie vielen verschiedenen Verhaltensweisen wir das Gefühl toxischer Scham verbergen und dadurch verhindert sind, unserer Liebe freien Ausdruck zu geben.

GESUNDE UND TOXISCHE SCHAM

Gesunde Scham ist die seelische Grundlage zur Demut. Albert Schweitzer verstand unter Demut das Anerkennen des einen Lebens in allen und allem. Dieses Anerkennen eröffnet die Quelle der Spiritualität, und somit auch zum eigenen wahren Wesen wie zum wahren Wesen unserer Mitmenschen.

John Bradshaw schreibt in seinem Buch »Wenn Scham krank macht«: »Ich entdeckte, daß sich das gesunde Gefühl der Scham in einen Seinszustand verwandeln kann. Und als Seinszustand übernimmt die Scham die gesamte Identität eines Menschen. Wenn man sich mit der Scham identifiziert, glaubt man, daß das eigene Wesen fehlerhaft ist und daß man als Mensch minderwertig sei. Wenn man sich erst einmal mit der Scham identifiziert hat, wird sie toxisch und hat eine dehumanisierende Wirkung. Toxische Scham ist unerträglich und erfordert immer eine Tarnung, ein falsches Selbst. Da man das Gefühl hat, daß das eigene Selbst minderwertig oder fehlerhaft sei, braucht man ein falsches Selbst, das nicht minderwertig oder fehlerhaft ist.«

Wenn wir etwas näher hinschauen, wird uns bewußt, wie viele Verhaltensweisen angenommen werden, nur um das zu verbergen. Leider aber entsteht durch diese Verhaltensweisen Distanz, weil wir durch das, was wir zu sein vorgeben, ein falsches Selbst präsentieren und damit auch nicht authentisch sind.

Nachfolgende Beispiele aus Workshops verdeutlichen die Tragweite toxischer Gefühle von Schuld und Scham und können eigene Einschränkungen und Prägungen bewußt machen und helfen, diese aufzulösen (die Namen der Personen sind geändert).

Beispiel 1: Inge

In einer Focussingsitzung löste sie Schuld- und Schamgefühle auf, die Angst und Schmerz seit ihrem fünften Lebensjahr gebunden hielten. Ihre Erinnerung war, daß ihr Vater sie mit ihrer noch jüngeren Schwester zu einem Spielplatz gegenüber dem Restaurant brachte, in dem die Eltern und Verwandten noch aßen. Sie erinnerte sich, daß ihre Schwester zurückging, um ihre Puppe zu holen. Als sie über die Straße ging, wurde sie von einem Auto angefahren.

Sie sah, wie ihr Vater sich über ihre Schwester beugte, die aus Mund und Nase blutete, und daß ihr Vater weinte. Viele Menschen aus dem Restaurant sammelten sich um die Unfallstelle und sie hatte große Angst, entdeckt und beschuldigt zu werden. Zunächst war sie allein, weil sich alle ihrer verletzten Schwester annahmen. Doch dann kam ihre Tante und kümmerte sich um sie. Obwohl ihr niemand Vorwürfe machte, daß sie ihre Schwester allein über die Straße gehen ließ, hatte sie doch Schuldgefühle und schämte sich vor allen Menschen.

Heute, etwa 30 Jahre später, spürt sie den erlebten Schock noch immer in ihren Knochen. Ihre Gefühle von Schuld und Scham waren nie aufgelöst worden. In der Focussingsitzung wurde ihr ihre emotionale Programmierung deutlich bewußt. Diese Programmierung zieht immer wieder ähnliche Situationen in ihrem Leben an. Sie erkannte, daß die Ursache ihrer äußeren Erfahrungen ihre Konditionierung ist. Sie ist Kindergärtnerin in einem kirchlichen Kindergarten. Dort wurde sie von Eltern unberechtigterweise beschuldigt und beschämt. Einzelheiten sind in diesem Zusammenhang unwichtig, sie konnten später auch zu ihren Gunsten geklärt werden. Freud nannte solche Zusammenhänge den Wiederholungszwang.

Als sie Angst bekam, ihre Stelle deshalb zu verlieren, fiel sie in Trance, wie Wolinsky es nennt. Ich spreche in meinem Buch von einem Reaktionsbild. Wir reagieren programmgemäß.

Auf der gleichen Spur findet sie in der gleichen Focussingsitzung eine weitere Situation, in der sie sich ähnlich fühlte. Sie hatte sich von einem Freund getrennt, den der Vater schon als Schwiegersohn angesehen hatte, ihn auch gerne als Schwiegersohn gewollt hätte. Der Vater gab dem jungen Mann in einer schwierigen Zeit seiner Beziehung zu seiner Tochter die Zusicherung, daß er ihm Unterstützung gäbe, wenn er es noch einmal mit seiner Tochter versuchen würde. Und er sagte ihm außerdem, daß er es nicht zu bereuen brauchte. Unerwartet für den Vater entscheidet sich die Tochter gegen den jungen Mann und heiratet ihn nicht. Der Vater hat großes Herzeleid. Da er vorher schon einen Herzinfarkt hatte, bekam sie Schuldgefühle und schämte sich, daß sie das Wort, das der Vater dem Freund gegeben hatte, nicht einhalten konnte.

In der gleichen Focussingsitzung erinnerte sie sich an die letzte Situation, die ihre emotionale Programmierung hervorgebracht hat: Sie verliebte sich in einen Mann, der geschieden ist. Sie könnte wiederum ihre Stelle verlieren, wenn sie entdeckt wird. Mitarbeiter kirchlicher Einrichtungen, erklärte sie, dürfen keinen geschiedenen Partner heiraten. Andere Kindergärtnerinnen sind schon gekündigt worden, weil ähnliches vorgekommen ist. Sie trifft ihn also heimlich, hat ständig große Angst, entdeckt zu werden und ihre Stelle zu verlieren.

An ihrer emotionalen Programmierung und dem Spurbild ihrer kindlichen Erfahrung hängt viel gebundene Energie, die wie ein Magnetismus immer wieder solche Erfahrungen in ihr Leben zieht. Vor dem Workshop erlebte sie eine sich steigernde Angst, sie konnte kaum noch nachts Schlaf finden. Jetzt durchschaute sie die Zusammenhänge und kann das ängstliche und beschämte Kind in sich annehmen. Dadurch kann sie lernen, mit der Angst vor der Angst umzugehen. Sie übt sich jetzt darin, das Kind in sich »wiederzubeeltern«, wie lohn Bradshaw es empfiehlt.

Wenn wir uns schuldig fühlen, sind wir dem Kind in uns Zuwendung schuldig. Wir dürfen es in seinem Schmerz, in Angst, Schuld und Scham nicht länger allein lassen und es aus Angst vor Schmerz nicht länger übergehen. Es ist die toxische Scham, die aufgrund der emotionalen Programmierung den Schmerz bindet. Der erwachsene Mensch fällt sozusagen »in Trance« oder wird »altersregressiv«, er erfährt sich unbewußt als das Kind, das er einmal war, mit seinem damaligen Schmerz, und auch sein Gefühl von Schuld und Scham wird noch verstärkt.

Sich mit der Angst und Scham anzunehmen und sich zu zeigen, sich ehrlich mitzuteilen, erlaubt ihr ihre Situation nicht. Die kirchliche Einrichtung mit ihren Vorschriften verlangt dann entweder ihre Beziehung zu lösen oder die Arbeitsstelle aufzugeben. Sich jedoch weiterhin zu verstecken, verstärkt ihre Ängste.

Wir besprachen Lösungen, wie sie sich aus der Trance lösen kann. Die Angst vor der Angst begleitet sie schon seit Jahren. Ihr ist bewußt, daß intensive innere Arbeit notwendig ist, um ihre emotionale Programmierung nach und nach aufzulösen und durch emotionale Reife neue Qualität in ihr Leben und in ihre Beziehungen zu bringen. Deshalb hat sie sich entschieden, unser Zweijahrestraining für persönliche Entwicklung mitzumachen.

Beispiel 2: Theo

Theos Vater war Pfarrer. Er kam oft nachhause und schlug seine acht Kinder. Die Mutter erlebte er gehorsam dem Vater gegenüber. Sie hat die Kinder nicht vor der Prügel geschützt oder nicht schützen können.

Während ich auch dieses Beispiel aufführe, wird mir bewußt, daß es so aussehen könnte, als hätte ich etwas gegen kirchliche Personen oder Einrichtungen. Dem ist nicht so. Ich will diese Beispiele aber auch nicht verschweigen, die Tatsachen nicht verschleiern, nur um mich Liebkind zu machen. Es ist rein zufällig, daß ich diese beiden Personen im letzten Workshop hatte, und es zeigt lediglich, daß Menschen nicht deshalb frei von Leid versursachenden Verhaltensweisen sind, nur weil sie in einem kirchlichen Amt stehen oder in einer kirchlichen Einrichtung tätig sind. Andererseits bin ich wunderbaren Menschen in solchen Ämtern und Einrichtungen begegnet, deren Verhalten beispielhaft ist.

Theo berichtete, daß ihm der Vater nicht zu weinen erlaubte. Auch mußte er nach den Prügeln die Türe leise schließen. Er berichtete, daß er sozusagen seine Knochen eingesammelt hatte, während er sich auf seinem Zimmer zurückzog. Theo hat sich sehr beschämt gefühlt. Außerdem leidet er heute noch unter dem selben Druck, den er vom Vater bekam. Jetzt macht er sich den Druck allerdings selbst (das Vater-Ich in ihm), weil er nie gelernt hat, für sich einzustehen. Theo erkannte in einer Focussingsitzung, daß er als kleiner Junge Macht an den Vater abgegeben hatte, um in dieser Familiensituation sozusagen zu »überleben«. Da er seinen Schmerz und seine Gefühle nicht zeigen durfte, hat er als gehorsamer Junge ein falsches Selbst aufgebaut, um sich vor dem Vater zu retten und ihn nicht noch mehr zu verärgern. Genauso entzieht er sich heute seiner Familie. Seine emotionale Programmierung läßt ihn glauben, er dürfe sich mit Schmerz oder mit Gefühlen nicht zeigen. Seine Frau hat es bisher mit seinem falschen Selbst zu tun gehabt und lernt nun einen völlig neuen Mann kennen. der sich in seinem Schmerz zeigt, sich ständig unter Druck und überfordert zu fühlen. Das wirft sie natürlich ein Stück auf sich selbst zurück, weil er sich jetzt darin übt, für seinen Raum und seine persönliche freie Zeit einzustehen. Sie werden miteinander neue Wege finden, da sie jetzt um das Kind im anderen wissen und aus eigenem Erleben mit dem anderen besser mitfühlen können. Beide erkannten auch, was sie bereits an ihre eigenen Kinder an Druck weitergegeben haben.

Was Eltern energetisch nicht lösen, geht an die Kinder weiter. Sie werden dann zum Psychologen geschickt, weil angeblich mit ihnen etwas nicht stimmt.

Das erinnert mich an Worte von Dr. Walther Lechler, früherer Chefarzt der Psychosomatischen Klinik in Bad Herrenalb: »Wenn einer in der Familie psychisch erkrankt, gehört die ganze Familie an den runden Tisch.«

Beispiel 3: Hans

Hans wurde von seiner Mutter, die sich von ihrem Mann früh scheiden ließ, immer unter Druck gesetzt mit den Worten »Du mußt«. Wenn er ihre Vorstellungen und Ansprüche nicht erfüllte, schlug sie ihn. Er steckte viele Schläge ein und unterdrückte seinen Schmerz. Später empfand er sogar Lust dabei und das beschämte ihn. Er fühlt sich auch heute noch unter dem gleichen Druck. Dieses »Du mußt« gibt er als leitender Mitarbeiter einer großen Firma an seine Mitarbeiter weiter, indem er sie ständig unter Druck setzt. Seine Liebesbeziehung ist sehr dadurch belastet, daß er sich Schläge wünscht, um sexuelle Lust zu empfinden.

Bei der Focussingsitzung nahm er immer wieder die Hände über sein Gesicht. Daran erkannte ich seine toxische Scham. Es war ihm schwer, sich zu zeigen mit all dem, was ihm passiert ist und wie es ihn prägte. Es war jedoch nicht nur die Scham, die ihn an seine Programmierung fesselte, sondern auch Selbstmitleid.

Selbstmitleid, das betont auch Roy Eugene Davis in seinem Buch »Wahrheitsstudien«, ist ein großes Hindernis auf dem Weg zur Befreiung aus Leid. Es braucht viel Gewahrsein, Selbstmitleid von Schmerz zu unterscheiden. Während uns Selbstmitleid tief herunterzieht, befreit es uns, den Schmerz anzunehmen und ihn dadurch aufzulösen.

Da Hans lange bis ins pubertäre Alter und sogar darüber hinaus von der Mutter geschlagen wurde und da der Schmerz zur Lust wurde, wurde ihm jetzt seine Programmierung »Sucht nach Schmerz« deutlich. Heute noch, als erwachsener Mann, empfindet er Sehnsucht nach der Mutter, obwohl sie ihn auch jetzt noch ständig unter Druck setzen kann. Die Schläge wünscht er sich jetzt von seiner Frau. Zunächst hatte er sich als kleiner Junge der Mutter gegenüber hilflos und ohnmächtig gefühlt, und sobald er an dieses Gefühl an seinem Arbeitsplatz kommt, gibt er Druck, um dieses unangenehme Gefühl, hilflos und ohnmächtig zu sein, nicht ertragen zu müssen. So sind Kinder Opfer und werden dann unbewußt zum Täter, um dem eigenen Gefühl von Schmerz, Schuld und der Scham auszuweichen.

Aus der Trance erwachen

Aus diesen verschiedenen Kreisläufen emotionaler Programmierung können wir nur aussteigen, wenn wir uns als Erwachsene die Macht zurückholen, die wir als Kinder an unsere Eltern abgegeben haben. Das ist die Art, wie Eltern sich (natürlich unbewußt) Energie von ihren Kindern holen oder geholt haben. Aus dieser Trance aufzuwachen ist befreiend, sich die Macht zurückzuholen ist eine Aufgabe. Liebe zeigt den Weg dorthin. Es geht nicht darum, die Eltern anzuklagen für alles, was sie in ihrer Unwissenheit an Leid weitergegeben haben, doch daß sich verletzte Kinder ihre Macht zurückholen können, die sie einmal an ihre Eltern abgegeben haben, als sie sich ohnmächtig und den Eltern gegenüber ausgeliefert fühlten. Es geht nicht darum, heute mit den Eltern abzurechnen. Und es geht auch nicht nur um Eitern. Ich erinnere mich an eine Focussingsitzung mit einem Workshopteilnehmer, der von seinem Lehrer vor seinen Mitschülern geschlagen wurde. Wie er nachempfand, waren es nicht so sehr die Schläge, die sein Leben prägten, sondern die Scham, weil er sich vor seinen Mitschülern bloßgestellt und runtergemacht fühlte. Er wurde von dem Lehrer ertappt, als er bei einer Arbeit einen Klassenkameraden etwas gefragt hatte. Seitdem fühlte er sich von dem Lehrer beobachtet und mochte auch nicht mehr zur Schule gehen. Auch ihm fehlte es an Unterstützung seiner Eltern. Er fühlte sich zuhause weder verstanden noch angenommen oder gar unterstützt. Er fühlte sich alleingelassen und beschämt. Heute noch geht es ihm am Arbeitsplatz ähnlich. Er befürchtet bloßgestellt zu werden, wenn er einen Kollegen um Rat fragt oder um Unterstützung bittet.

In der Arbeit mit dem inneren Kind geht es darum, von den verschiedenen Trancen emotionaler Programmierung aufzuwachen. Oft erwachen Erwachsene, wenn sie erkennen, was sie bereits an ihre eigenen Kinder abgegeben haben. Dies ist für sie meist schlimmer, als was sie selbst durchlebt haben. Sie können ihren Eltern leichter vergeben, weil sie selbst ein großes Bedürfnis nach Vergebung empfinden. Kinder sind häufig Opfer und werden zum Täter, noch ehe sie Zusammenhänge des Lebens begreifen. Sobald sie jedoch erwachen, setzen sie alles dafür ein, aus diesem karmischen Kreislauf auszusteigen.

Wenn Du in Deinem Leben auch Situationen hast, die sich ähnlich immer wieder einstellen, brauchst Du nicht länger Opfer von Umständen, Verhältnissen, Zeit und Raum zu bleiben, Du kannst aussteigen. Solange Du Dich beklagst und jammerst, bleibst Du Opfer. Wenn Du etwas verändern willst, mußt Du Verantwortung übernehmen. Verantwortung übernehmen heißt, dem verletzten Kind in Dir antworten.

Und Schuldgefühle haben oder anderen Schuldgefühle machen, bedeutet, Du schuldest dem Kind in Dir Zuwendung.

Falls Du mehr darüber wissen möchtest, kannst Du Dich mit Literatur wie Aussöhnung mit dem inneren Kind, Heilung des inneren Kindes oder Das Kind in uns und Die dunkle Seite des inneren Kindes befassen. Workshops wie »Selbstannahme«, »Heilung des inneren Kindes« und »Beziehungen« geben Dir genügend Selbsterfahrung, um in den Dialog mit dem Kind in Dir zu kommen und diesen zu pflegen. Wenn Du einmal den Dialog hergestellt hast, zeigt Dir das Kind in Dir den Weg in die Befreiung aus Gebundenheit. Du trägst bereits alles in Dir, was Du brauchst, um die Fesseln zu sprengen, so daß Du wieder Gesundheit auf allen Ebenen, harmonische Beziehungen, eine glückliche Partnerschaft und Lebensfreude erleben kannst, was ich Dir von Herzen wünsche.

MEINE PERSÖNLICHE ERFAHRUNG

Fred, mein Partner, möchte an allem teilhaben, was ich tue, und so fragte er mich auch, worüber ich dieses mal im Magazin schreibe. Ich erklärte ihm das Thema und er wurde nachdenklich. Er sagte mir dann, daß er oft an seine verstorbene Frau (meine beste Freundin) denkt, und während ich meine Arbeit mache oder in Seminaren bin, hört er sich Vortragskassetten von ihr an. Da sie ihn dabei oft erwähnte, wurde er an viel Gemeinsames mit ihr erinnert und er trauerte über ihren Verlust. Als er mir das berichtete, sprach er über den Konflikt, den er empfindet. Er meinte, mir gegenüber nicht loyal zu sein, daß er immer noch Liebe für Peggy empfindet, und ihr gegenüber nicht loyal zu sein, weil er mich auch liebt.

Aus meiner Erfahrung konnte ich ihm dann sagen, daß es die Qualität der Liebe ist, die er empfindet, die Fähigkeit zu lieben, die er in sich entwickelt hat. Daß diese Liebe lediglich uns beiden gegenüber einen anderen Ausdruck hat und eine andere Erwiderung findet. Darauf sagte er mir, mit den gleichen Worten hätte Peggy ihm das auch erklärt. Wir sprachen über all das vor dem Aufstehen. So konnte ich ihn bequem in den Arm nehmen und ihm sagen, daß es vollkommen in Ordnung ist, daß er Peggy noch immer liebt, ich liebe sie doch auch und auch ich empfinde den Verlust, mit ihr nicht mehr über alles sprechen zu können.

Nachdem sich Fred angenommen und verstanden gefühlt hatte, sprach er noch einmal darüber, wie er den Abschied von ihr empfand und was er ihr noch alles sagen konnte, bevor sie die Augen für immer schloß. Da ich zwei Tage vor ihrem Tod bei ihr war, um Abschied zu nehmen, sprach ich über meine Gefühle. Das erleichterte ihn so sehr, daß er mir sagte, wie er empfand, als Neptun sie abholte. Als die Männer sie hinaustragen wollten, hielt er sie zurück und brachte sie im Rollstuhl hinaus, wie er es die letzten fünf Jahre immer gemacht hat, wenn er sie zum Auto brachte. Bei diesen Worten gingen die Schleusen in ihm auf und ein Sturzbach von Tränen brach aus ihm heraus. Das bewegte mich so sehr, daß ich mit ihm weinte. Dabei konnte sich soviel Verlustschmerz in uns beiden lösen, daß wir uns beide anschließend sehr leicht gefühlt haben. Wir haben sowieso beide das Gefühl, daß Peggy uns nahe ist und uns begleitet.

Fred konnte in meinen Armen erleben, daß die Liebe so tief geht, wie wir bereit sind, den Schmerz zuzulassen und uns im Schmerz zu zeigen. Das können wir natürlich nur in einer Atmosphäre des Vertrauens und der Annahme. So bin ich durch meine reiche Erfahrung in Workshops jetzt auch in meiner Beziehung gesegnet. Fred und ich sehen unsere Aufgabe darin, andere auf diesem Weg wahrer Liebe Hilfestellung zu geben. So können sich durch die innere Arbeit und die Auflösung des emotionalen Gepäcks Alleinstehende auf eine glückliche Partnerschaft vorbereiten und Paare näher zusammenfinden. Das wünschen wir Euch allen. Und so ist es!

Rosemarie Schneider-Bassett

Rosemarie Schneider-Bassett

Rosemarie Schneider-Bassett war über 25 Jahre lang Autorin mit vielen hundert Veröffentlichungen und Audio-Kursen sowie Seminarleiterin in mehreren europäischen Ländern sowie in den USA. Literatur finden Sie bei https://www.verlag-csa.de