Wahre Liebe (2)
Auf dem Weg der Entwicklung unserer Liebesfähigkeit lernen wir, uns auf allen Ebenen unseres Seins zu erkennen und anzunehmen. Durch Meditation und Kontemplation erfahren wir allmählich, daß uns aus der Tiefe unseres Seins wunderbare Eigenschaften durchfluten, wie Ruhe, Frieden und wahre Liebe, und wir fühlen, daß es wahr sein muß, daß wir nach dem Bilde und aus dem Wesen Gottes geschaffen sind. Wir lernen, uns als Kinder Gottes und im Innern bereits als gut anzunehmen und uns unsere bisherige Unwissenheit der Zusammenhänge des Lebens zu verzeihen. In dem Maße, wie wir uns trotz unserer Irrtümer und begangenen Fehler annehmen und als Kinder Gottes lieben lernen, ist es uns auch möglich, das gleiche für andere Menschen nachzuvollziehen. In immer größerem Umfange ist es uns bei fortschreitender Entwicklung möglich, den anderen Menschen in seinem Innersten bereits als gut und vollkommen anzuerkennen: auch er ist im gleichen Prozeß und übt sich im Erkennen und im Ausdruck. Dieser Vorgang in unserem Innern ist ein Prozeß der wahren Liebe.
Hingabe und Lohn auf dem Weg zur wahren Liebe Ehe wir auf der Stufe ankommen, auf der wir lieben, weil wir erkennen und in uns fühlen, daß Liebe unser wahres Wesen ist, gibt es Vieles zu überwinden und aufzugeben: das Rechthabenwollen, Sturheit, Selbstgefälligkeit, Kritiksucht, das aufgeblähte Ego (das Gefühl des Getrenntseins von der Quelle des Lebens), Rachegedanken und -empfindungen, Stolz, Arroganz, Überheblichkeit – alles, was der wahren Liebe und reinen Beweggründen nicht entspringt. Dieser scheinbare dornenreiche Weg ist ebenso segensreich, wenn wir ihn offen und ehrlich mit uns und mit anderen so beschreiten, wie wir mit gutem Willen fähig sind. Wir sind sogar die Ersten, die durch diesen Entwicklungsprozeß gesegnet sind. Denn wenn wir lieben können, »rein und einfach, ohne ein anderes Bedürfnis als nur zu lieben«, dann fließt in uns die Lebenskraft und wir gesunden auf allen Ebenen und in allen Lebensbereichen. Wenn wir Wohlergehen erfahren und glücklich und gesund sein möchten, können wir es uns nicht erlauben, nicht zu lieben. Solange wir nicht bedin¬gungslos lieben lernen, können wir das Gute, das in uns ist, nicht freisetzen.
Die gestaute Lebenskraft im liebesunfähigen Menschen kann nichts Gutes anziehen. So erfährt der liebesunfähige Mensch kein Wohlergehen. In dem Maße, wie wir liebesfähig sind, ziehen wir Wohlergehen an. In dem Maße wie wir lieben, setzen wir die Erfüllung unserer Herzenswünsche in all unseren Angelegenheiten frei.
Solange wir nicht fühlen, was wahre Liebe ist, benutzen wir das Wort Liebe oberflächlich. Wir sagen: “Ich liebe das Kleid, ich liebe Sport, ich liebe Apfelstrudel.” Wir benutzen das Wort Liebe und meinen die Emotion, die damit verbunden ist. Wir wollen sagen: »Ich möchte das Kleid gerne haben und mich darin gut fühlen, ich möchte Freude am Sport erleben, oder ich möchte den Genuß haben, den ich bekomme, wenn ich Apfelstrudel esse.«
Bis wir zur wahren Liebe erwachen, sprechen wir außerdem oft in Bedingungssätzen, wenn wir von Liebe sprechen. So hören wir uns oder jemanden anderen sagen: »Wenn du mich liebst, dann bringe doch bitte den Mülleimer runter. Wenn du mich liebst, dann verbringe deinen Urlaub mit mir in den Bergen und nicht immer am Meer. Wenn du mich liebst, gehst du mit mir spazieren usw.« Mit anderen Worten: “Wenn du mich liebst, machst du gefällig das, was ich wünsche.” Sieht sich der andere nicht in der Lage, unsere Wünsche oder Bedürfnisse zu erfüllen, sprechen wir auch nicht mehr von Liebe. Das, was wir Liebe nennen, hört oft auf, wenn unsere Bedingungen nicht erfüllt werden.
Es ist leicht, die Menschen zu lieben, die uns lieben. Was ist mit den anderen? Ich weiß, wir üben uns oft in der Liebe, und dann kommen wir an einen Punkt, wo es so hoffnungslos scheint in einer Beziehung, und wir wissen nicht weiter. Möglicherweise haben wir immer noch Erwartungen an andere und sind enttäuscht, wenn sie nicht erfüllt werden, weil wir unser Wohlbefinden noch von anderen Menschen abhängig machen. Dadurch geben wir die Macht der Liebe, die in uns ist, an andere ab, weil wir noch in der Täuschung leben, Liebe käme von außen auf uns zu. Wir haben noch nicht die Voraussetzungen geschaffen für die Erfahrung, daß wahre Liebe eine Eigenschaft unseres wahren Wesens ist, als Schatz im eigenen Innern liegt und im eigenen Innern erfahren werden kann.
Unsere Beziehung zu unseren Kindern
Ideal ist es, schon bei der Zeugung eines Körpers zu verstehen, daß wir nicht Leben geben, sondern einer Seele einen Körper zeugen, den die Seele als Tempel des Geistes bewohnt. Die Seele, die als unser Kind mit uns in Beziehung tritt, war schon vor Erhalt des Körpers Teil ewigen Lebens und ist das auch nach Verlassen des Körpers. Wohl kaum jemand von uns hat seine Kinder in diesem Bewußtsein geschenkt bekommen. So haben wir nach unserem Verständnis unser Bestes getan, dem Kind den Weg auf diesem Planeten zu ebnen. Wir waren und sind für unsere Eltern noch immer deren Kinder, und die meisten von uns haben Kinder. Viele sind Eltern geworden, weil sie sich als Mutter oder Vater erleben und an Kindern sich erfreuen wollten.
In der bedingten Liebe hört diese sogenannte Liebe zu den Kindern oft auf, wenn sie heranwachsen und ihren eigenen Willen haben, ihre eigenen Neigungen, Wünsche und Träume, und gar noch diesen folgen. In der Bhagavad Gita heißt es, daß es für die Entfaltung einer Seele besser ist, der eigenen inneren Führung zu folgen und dabei zu scheitern, als die Erwartungen der Eltern zu erfüllen und dabei zwar in den Augen der Welt ein erfolgreiches Leben zu führen, aber an ihrem eigenen Leben vorbeizugehen.
Wahre Liebe fördert die Entfaltung der Seele und unterstützt sie bei der Befolgung ihrer eigenen inneren Führung, bei der Aufgabe, die sich diese Seele für dieses Erdendasein gestellt hat. In unserer eigenen Entwicklung ist das oft schmerzhaft, weil wir uns von Wünschen, Träumen und Vorstellungen, wie unsere Kinder sich entfalten sollten, frei machen müssen, und das tut oft weh. Die Kinder tun uns nicht weh, das Loslassen unserer Erwartungen ist, was schmerzt. Alles Loslassen wird als Verlust empfunden, bis wir in der Ver¬wirklichung der wahren Liebe verstehen, daß die uns anvertraute Seele zwar unser Kind, aber nicht unser Besitz ist, und wir lernen, mit Freude dem Göttlichen in unseren Kindern zu dienen.
Partnerschaft
Viele von uns haben geheiratet mit der hohen Erwartung an den Partner, uns glücklich zu machen. Diese Haltung kann sich im Laufe der Ehe allmählich in reifes Miteinander wandeln. Solange die beiderseitige Bereitschaft da ist, offen und ehrlich miteinander über eigenes Empfinden zu sprechen, ist miteinander Lernen und Reifen möglich. So wächst eine anfangs noch bedingte und einengende Liebe zu der schönen Eigenschaft der wahren Liebe. Offen zu sein heißt nicht, Wahrheiten zu sagen, was wir unter Wahrheit verstehen, oder den anderen geradeheraus zu beschuldigen und ihn damit zu konfrontieren, was er unserer Meinung nach alles falsch gemacht hat. Beschuldigen heißt angreifen, und was steht hinter einem Angriff? Verbergen wir etwas, das wir vor uns selbst nicht wahrhaben wollen, geschweige denn vor dem Partner? Wunden (Reaktionsbilder) im eigenen Gemüt, die wir mit in die Ehe einbringen, sind große Belastungen für eine junge Ehe. Beim besten Willen und trotz großer Bereitschaft kann an unserer Art, mit diesen Wunden auf das Leben zu reagieren, die Ehe scheitern, weil wir nicht gelernt haben, mit so viel Konfliktstoff umzugehen. Solange wir auch nicht um die Gesetzmäßigkeiten des Lebens wissen, vermögen wir kaum ohne Hilfe von außen diese Aufgabe zu schaffen. Die Hilfe von außen kann durch ältere und reifere Menschen unserer Umgebung kommen, und falls wir solche Menschen nicht um uns haben, durch Lebensberater.
Rosemarie Schneider-Bassett
Rosemarie Schneider-Bassett war über 25 Jahre lang Autorin mit vielen hundert Veröffentlichungen und Audio-Kursen sowie Seminarleiterin in mehreren europäischen Ländern sowie in den USA.