Zeit und Geld
Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft
Hans Scharpf macht sich Gedanken über unser Geldsystem und unsere Zukunft. Dazu hat er bereits vieles publiziert. Kürzlich fiel mir einer seiner Aufsätze in die Hände und ich fragte ihn, ob ich sein Thema “Geldsystem und Zukunft” als Anlaß zur Grundlage nehmen dürfe, um eine weitere Ausführung zum Thema Zeit zu schreiben. Wir haben uns dem Thema dann gemeinsam im Diskurs etwas angenähert, nicht schlußendlich, aber eben doch mit etwas tiefergehenden Anregungen zum Reflektieren, wie wir meinen.
Was ist eigentlich Zukunft?
Ein Aspekt seiner Ausführung faszinierte mich: nämlich die Zukunft. Haben Sie schon einmal die Zukunft erlebt? Manche Erfolgstrainer bemühen sich ernsthaft um dieses Thema, nämlich darum, wie wir in der Gegenwart die Zukunft gestalten können. Dazu gibt es eine schon unüberschaubare Menge an Literatur. Das überzeugende Motto wurde bereits veröffentlicht mit dem Beitrag “Zeit und Magie” (www.erhebend.de/zeit-und-magie/): Es gibt nur eine Zeit, nämlich die Gegenwart. Das Ziel der meisten Konzentrationstrainings, wie etwa Meditation, zielt darauf ab, die ablenkenden Faktoren, wie etwa Gedanken, einfach ziehen zu lassen, um nach und nach in die Gegenwart zu kommen (anstatt immer wieder aus der Vergangenheit die Zukunft und möglicherweise gar aus der Zukunft die Gegenwart definieren zu wollen). Dies verlangt üblicherweise viel Training.
Viel leichter ist es natürlich, sich in seinen Träumen und meist dazu Zeitreisen zu bewegen: Ständig sind viele Menschen auf dem Weg von der Vergangenheit in die Zukunft, während sich der Körper tatsächlich in der Gegenwart befindet. Tatsächlich bewegen sich viele Menschen mehr in der Vergangenheit herum, grübeln, analysieren, gehen ihre Gefühle vergangener Zeiten durch, verfangen sich in alten Konfliktsituationen – und im Effekt projizieren Sie sie in die Zukunft. Die Wirkung erhöht sich, wenn bereits erlebte Situationen mit Angst “geladen” sind. Und damit eine solche Art von “Steuerung” noch besser funktioniert, wird auch die Gegenwart mit Angst geladen – Angst, seinen Arbeitsplatz zu verlieren, (zukünftig) seine Schulden nicht bezahlen zu können, Angst davor, daß der Partner/die Partnerin uns verlassen könnten, daß der mühsam erworbene “Wert” eines Besitzes verfallen könnte, usw. (In manchen Traditionen nennt man das auch „Karma produzieren“.)
Was hat das ganze nun mit dem Geld auf sich? Was hat denn das Geld mit der Zukunft zu tun?
Zeit ist Geld (?)
Wer hat wohl diesen genialen Gehirnwurm erfunden? Als einen der übergreifenden Glaubenssätze kann man die Überzeugung, Zeit sei gleichzusetzen mit Geld, bezeichnen. (Glaubenssätze – Arten, Folgen, Entwicklung und Veränderung : Glaubenssätze sind im NLP ein Ausdruck innerer Modelle, die jede Person fortlaufend entwirft und andauernd entwerfen muss, um sich in der Welt zu orientieren. Andere Begriffe hierfür sind: Überzeugungen, Einstellungen, Belief, Meinungen.)
Wieso eigentlich sollte Zeit=Geld sein? Weil Sie eine bestimmte Summe Geld dafür erhalten, daß Sie eine bestimmte Zeitspanne Ihrem Arbeitgeber (netter Begriff: „Arbeit-Geber“) widmen, daß Sie diesem also eine bestimmte Zeit Ihrer gesamten Lebensspanne verkaufen? Weil Ihr persönliches Leben plötzlich in Zeiteinheiten bewertet wird? Wird nicht bei der Aufnahme eines Kredites bereits die persönliche Zukunft (die zukünftige Zeit-in-Geld-Wandlung = Zahlungsfähigkeit) vom Kreditgeber als „Sicherheit“ eingebucht? Haben Sie damit auch gleichzeitig “keine Zeit” mehr, für was auch immer, wenn Sie nur dem Geld hinterherjagen (aus welchem Grund auch immer)?
Indem wir mit Geld die noch nicht erbrachten Leistungen bewerten, also die Versprechungen, die wir einander abgeben (Kredit), beleihen wir in Wirklichkeit die Zukunft. Wir versuchen also, die Zukunft zu berechnen – und quasi das Ergebnis einer solchen Berechnung im JETZT zu verkaufen (zu Geld zu machen).
Glauben Sie wirklich, daß Sie die Zukunft rechnen können? Glauben Sie wirklich, Ihr Banker kann das? Ja, gemeinsam mit Ihrem Banker versuchen Sie genau das. Ähnlich wie bei dem Training eines Trainers (“Wünsche an das Universum”), in denen Sie lernen, Ihre eigene Zukunft zu gestalten, tritt nun die Komponente Geld hinzu und beeinflußt Ihr zukünftiges Bild von Ihrer Zukunft. Sie glauben in der Gegenwart, daß Sie mit Hilfe des Geldsystems die Versprechungen zukünftiger Leistungen und Produkte in Ihr zukünftiges Erleben zwingen können. Sie glauben also, daß Sie mit den Versprechungen zukünftiger Leistungen gewünschte Besitz- und Nutzungsrechte bereits in der Gegenwart erlangen. Sie versuchen also, Ihre Zukunft zu erzwingen, Sie meinen, die Zukunft in die Gegenwart ziehen zu können.
Damit bringen Sie ihre eigene Gegenwart – Ihre urpersönliche eigene Ewigkeit – erheblich durcheinander. Sie kaufen sich Zeit. Ja, Sie zwingen scheinbar die Zukunft in die Gegenwart – und übersehen dabei, daß Sie damit die unendliche Vielfalt des Lebens und zukünftiger Erlebnisse reduzieren. Sie kaufen sich nicht nur Zeit nach dem Glaubenssatz “Zeit ist Geld”, sondern Sie verkaufen in Wirklichkeit Ihre Zukunft, Ihre zukünftige Zeit, Ihre “kontinuierlichen Ewigkeiten”.
Da aber die (selbst induzierten und auch fremden) Versprechungen nicht wirklich gehalten werden können, weil der Fluß des Lebens sich eben nicht einfach zwingen läßt, erleben Sie in der Fortführung Überschwemmungen und Zerstörungen, wie Sie sie bei einem begradigten Fluß beobachten können, bei einem Fluß, der aus ökonomischen Gründen in ein definiertes (“berechnetes”) Flußbett gezwungen wird.
Im Ergebnis tauchen dann links und rechts des Weges Ungerechtigkeiten auf, die die zukünftigen Gegenwarten weiter einengen oder gar vernichten. Sie reduzieren nämlich die mögliche Erlebnisbreite und -tiefe, bedingt durch die ökonomischen Zwänge, die Sie sich selbst auferlegt haben.
Sie behandeln noch nicht erbrachte Leistungen genauso, wie schon erbrachte Leistungen, und zwar unabhängig davon, ob diese Leistungen überhaupt noch erbracht werden (können), welchen Nutzen sie stiften und welche Qualität sie haben. Sie stören das Äquivalenzverhältnis (Du ut Des), indem Sie in der Gegenwart einen Störimpuls einbauen, der Ihnen im schlechtesten Fall sogar die Zukunft komplett verbauen kann, besonders dann, wenn ein Kredit aufgrund neuer Bankbeurteilungen wackeln würde (das wird schon gelegentlich recht interessant ausgelegt).
Die Aufnahme eines Kredites bedeutet, daß Sie das Versprechen auf etwas Zukünftiges höher bewerten als etwas, das in der Gegenwart bereits erbracht ist. Man könnte auch interpretieren, daß demjenigen, der noch keine Leistungen erbracht hat, mehr an Besitz- und Nutzungsrechten an dieser Erde eingeräumt werden als demjenigen, der schon verwertbare Leistungen erbracht hat.
Damit aber ruinieren Sie die Gegenwart mit den Versprechungen einer Zukunft, die es so gar nicht geben kann – Beispiele aus den Kundgebungen intelligentester Politiker, Wissenschaftler und bekanntester Institutionen belegen dies eindrucksvoll. Daraus resultierende Illusionen könnte man bezeichnen mit etwa: ewiges Wirtschaftswachstum, Artenschwund und Landschaftsschwund, Ressourcenschwund, Gerechtigkeitsschwund, Lebendigkeitsschwund. Der schöne Schein verleitet zu der Annahme, daß Sie sich alles bereits heute aneignen können, wenn sie nur über genügend Geld verfügen.
Geld regiert die Welt.
Betrachten Sie diesen Satz einmal etwas näher. Es ist eine einfache Magie, eine sehr mächtige Magie. Große Magie ist immer einfach. Deshalb ist auch die Gefahr so groß, daß wir einfach darauf hereinfallen, weil: es sieht doch alles so offensichtlich aus. Und tatsächlich richten viele Menschen ihr Leben auf genau solche Glaubenssätze aus. Menschen, die solchen Regeln folgen, verkaufen ihre Zukunft. Sie verkaufen ihre Lebenskraft in dem Versprechen, die Illusionen von heute sofort Wirklichkeit werden zu lassen.
Es lohnt sich, auch auf solche Illusionen einmal vertiefend einzugehen. Wie kommen solche Illusionen zustande? Was tragen Marketing dazu bei und die Medien? Schon ist der Gedanke da für den nächsten Beitrag.
Bezogen auf das physische Erleben scheint Geld also die Möglichkeit zu eröffnen, Zeit zu komprimieren (“zu kaufen”). Tatsächlich begeben Sie sich in den Dunstkreis einer selbstgemachten Magie, und wenn Sie aus dieser Magie dann tatsächlich wieder erwachen sollten, sieht das, was Sie erwartet haben, ganz anders aus, als Sie es sich früher ausgemalt hatten. Sicher kennen Sie viele Beispiele von Menschen, die, nachdem sie “das Geld” hatten, davon regiert wurden (in der Bibel hieß es wohl: den Mammon anbeten), und die dann plötzlich keine Zeit mehr hatten.
Wollen Sie also immer noch die Zukunft kaufen? Oder wollen Sie lieber in der Gegenwart leben und damit ihr volles Potential ausleben? Eines dürfte in jedem Fall klar sein: Wenn Sie in der Gegenwart nur das Geld ausgeben, das Sie bereits verdient haben, dann behalten Sie in der (ewigen) Gegenwart immer den Überblick. (Das macht wahrscheinlich auch die reinen “Tausch-Gesellschaften” so befriedigend, wenn nicht gar glücksfördernd.)
Es gibt nur EINE Zeit: Die GEGENWART!
Die Gegenwart vergeht niemals, sie ist immer da. Da sie niemals vergeht, befinden Sie sich bereits gleichzeitig in der von vielen Menschen angestrebten Ewigkeit. Sie brauchen also die Ewigkeit nicht länger zu suchen, schon gar nicht in der Zukunft, oder nach dem Tod…
Können Sie in der Gegenwart glücklich leben, ist das also die beste Voraussetzung dafür, daß Sie ewig glücklich sind. Wäre das erstrebenswert?
Hans Scharpf
Hans Scharpf war Wirtschaftsanwalt und ist heute als Autor und Medienveranstalter tätig. Seine jüngste Performance (April 2019) ist die Vernissage von “Goethe goes to Rüdesheim – Der Kaiser ist nackt” mit dem Thema “Was hat es auf sich mit dem GELD AUS DEM NICHTS”?
Dietmar Hannebohn
Dietmar Hannebohn ist seit 1977 selbständiger Strategie- und Kommunikationsberater