Wovon träumst Du?

Hattest Du jemals einen Alptraum? Ich sah einmal eine Zeichnung, die einen tief schlafenden Mann darstellte, der einen schrecklichen Traum hatte. In diesem Traum sah er einen Riesen, der am Ende seines Bettes stand, sich über ihn beugte und der dabei war, ihn zu ergreifen. Der Mann war vor Furcht nahezu gelähmt und sagte zu dem Trugbild: “Was wirst Du mit mir tun?” Der Riese erwiderte: “Ich weiß es nicht. Was wirst Du mit mir tun? Ich bin nur Dein Traum, wie Du weißt.”

Wie viele dieser Trugbilder und Phantomgestalten tragen wir alle in unserer Vorstellungskraft in uns herum? Wie oft haben wir derartig schlimme und unglückliche Gedanken, daß sie uns als riesenhafte und bedrohliche Gestalten erscheinen, die uns mit einem tödlichen Griff packen wollen? Und wie selten betrachten wir diese Ängste und versuchen, genau herauszufinden, woher sie kommen und was sie sind. Was für ein Schock und welche Überraschung ist es für uns, wenn wir erkennen, daß wir es selbst sind, die die Trug- und Traumbilder erschaffen haben, und sozusagen vor dem Schatten unserer eigenen Ängste davonlaufen!

Was nun sind unsere Träume? Träumen wir von Erfolg oder von Versagen? Von Glück oder Elend? Von Krankheit oder Gesundheit? Denn unsere Träume sind mentale Muster, die uns zu einem volleren und reicheren Leben fuhren können oder die Phantomriesen erschaffen können, die unser Leben zu einem Alptraum machen, ob wir nun schlafen oder wach sind. Jeder Mensch ist der Träumer seiner eigenen Träume, und in jedem liegt die spirituelle Macht, die Muster und Bilder zu wählen, die er in seinem Leben erfahren möchte.

Die psychosomatische Medizin wurde entwickelt, um Menschen zu helfen, sich von ihren selbstgeschaffenen Trugbildern zu befreien. Was ist eine Neurose anderes als eine Ansammlung mentaler Bilder, die die Ordnung des Gemüts stören? Nehmen wir zum Beispiel einen Menschen, der meint, daß niemand ihn mag. Welche Trugbilder und Riesen wird dieser Mensch durch das Gefühl der Zurückweisung in seinem Gemüt erschaffen! Er schaut auf seine Nächsten und stellt sich vor, daß sie seine Kleidung mißbilligen und sein Verhalten nicht mögen. Er fühlt, daß sie ihn innerlich kritisieren. Doch Tatsache ist, daß seine eigenen kranken Träume negative Gedanken in das Gemüt jener eingeben, die ihm begegnen, denn es besteht ein mentaler Kontakt von ihm zu anderen, die sich auf seine Gedanken und Bilder einstimmen. Er beginnt, sich vom Leben zurückzuziehen, anstatt seine Schultern zu rückzuwerfen und dem Leben offen und gerade zu begegnen. Indem er sich in sich selbst verschließt, sagen die anderen zu ihm: “Dies ist ein Mensch, der geschlagen und armselig ist.”

Der Träumer, der sich ungeliebt fühlt, ist von seinen eigenen Trugbildern so geblendet, daß er nicht erkennt, wie jeder um ihn herum lediglich auf seine Gefühle und Vorstellungen antwortet. Er weiß nicht, daß das Trugbild der Feindseligkeit, dem er begegnet, nur in seinem Gemüt ist und seinen Gedanken folgt. In Science of Mind haben wir die sehr interessante Tatsache erkannt, daß die von uns geschaffenen Gedankenmuster in einem gewissen Sinne uns allmählich besitzen. Wir können schließlich von ihnen hypnotisiert sein und in einem Traumzustand einhergehen mit der Vorstellung, daß jeder und alles gegen uns ist.

Das Schlimme dabei ist, daß der Traum für den Träumer Wirklichkeit ist. Der Mann, der in seinem Schlaf jenen Alptraum hatte, der ihn nahezu vor Schrecken lähmte, erwachte am Morgen und war überaus erleichtert zu erkennen, daß es keine seltsame Gestalt gab, die seine Sicherheit bedrohte. Er war sehr erleichtert herauszufinden, daß dies alles nur ein Traum war. Und so ist es mit den meisten unserer Sorgen. Sie sind für uns wirklich, solange wir sie unterhalten. Doch es gibt in uns etwas, das niemals durch einen Traum gefangengenommen wurde. Und ebenso, wie der Mann die riesenhafte Gestalt am Fuße seines Bettes als traumhafte Unwirklichkeit durchschaute, so können auch wir im Innern erwachen und die Unwirklichkeit der meisten unserer Sorgen erkennen. Wenn ein Mensch sich aus einem Alptraum erheben kann, zeigt dies, daß es etwas in ihm gibt, das dieser Traumerfahrung übergeordnet ist.

Einer der häufigsten Träume ist, daß wir unglücklich sind, andere Menschen uns nicht mögen, das Leben gegen uns ist und nichts Gutes geschieht oder uns gelingt. Da das Gesetz des Gemüts auf unser Denken antwortet, schaffen wir die Umstände, die unseren Träumen entsprechen. Und tatsächlich sind es auch unsere Träume. Dann beugen wir uns in Angst vor ihnen und fühlen, daß wir Opfer eines Schicksals sind, das wir nicht lenken können.

Es wird die Geschichte eines Engels erzählt, der die Erde besuchte. Er trat in den gewöhnlichen Strom menschlicher Tätigkeiten und hörte den Unterhaltungen der Menschen zu. Zum erstenmal hörte er negative Bemerkungen. Jemand, der als eine Autorität angesehen wurde, sagte, daß ein Unglück kommen und menschliches Leben zerstört werden würde. Und der Engel las in den Zeitungen von großen Krankheitsepedemien. Jemand, der es wirklich wissen mußte, erklärte in deutlichen Einzelheiten, daß finanzielle Probleme die ganze Menschheit einschränken würden. Der Engel hörte, daß es nicht genug für alle gäbe, daß auf der Erde nicht genügend Nahrung für alle Menschen erzeugt werden könne und daß viele verhungern müßten.

Er begann sich zu fragen, ob diese Dinge wirklich wahr seien. Als er die Gedanken all dieser Verneinungen untersuchte, verwandelte sich das Strahlen seines engelhaften Wesens in dunkle Schatten. Seine Gestalt schien zu schrumpfen, und als er sich selbst betrachtete, sah er sich als ein menschliches Wesen gekleidet und in Angst, Zweifel und Ungewißheit einhergehen. Und so erlebte er schwere Jahre voll Traurigkeit, Armut und Schrecken. Diese Jahre waren so mit Angst angefüllt, daß er sich den Tod wünschte, daß ein großes Nichts ihn verschlingen würde. Und doch, mitten in all dieser Dunkelheit, erinnerte sich etwas in ihm daran, daß er einst Engel Gottes gewesen war, der in einem Himmel von Schönheit, Frieden und Freude gelebt hatte, in einem Garten Eden, den Gott für ihn bereitet hatte. Mit dieser Erinnerung erwuchs ein Entschluß in ihm, den Weg zurück zu diesem verlorenen Paradies irgendwie zu finden.

Dieser Entschluß wuchs zu großer Hoffnung empor. In dieser neuen Hoffnung sah er ein Licht in der Ferne scheinen, und er fühlte den Mut, diesem Licht entgegenzugehen. Allmählich geschah ein Wunder. Als er dem Licht entgegenging, sah er die Schatten hinter sich weichen, bis er schließlich so vollkommen in das Licht eingetreten war, daß keine Schatten mehr übrig blieben. Dabei erkannte er, daß er geschlafen hatte, daß er in einen schlimmen Traum gefallen war, aus dem er nun erwachte.

In welchem Ausmaß träumen wir alle? Und welche Trugbilder mit riesenhaften Gestalten sehen wir in unseren Träumen, die wir unbewußt in unserem Gemüt aufgebaut haben? Stellen wir diesen Gestalten nicht auch die Frage: “Was wirst Du mit mir tun? Welche schreckliche Zukunft hältst Du für mich bereit? Welche schlimmen Erfahrungen werden nun kommen?”

Vielleicht schlafen wir noch und hatten nicht einmal den Mut, diese Truggestalten zu fragen, was sie mit uns vorhaben und der einzig möglichen Antwort zu lauschen, die sie wirklich geben können: “Wir können nichts tun. Was aber wird uns geschehen? Wir sind nur Deine Geschöpfe, wie Du weißt.”

Paulus sagte: “Die Stunde ist da, aufzustehen vom Schlafe.” (Rom. 13, 11) So laßt uns aufstehen und uns vergewissern, daß wir uns nicht mehr mit dem Schlaftrunk der Angst, Ungewißheit und des Zweifels betäuben, sondern zu Glaube und Vertrauen erwachen, zu Friede, Freude, Liebe und Glück. Denn in uns ist etwas, ebenso wie im Engel unserer Geschichte, das niemals vergessen hat. In der Mitte jedes Menschen existiert ein stiller Zeuge, der mit den großartigen Worten von Jesu verkündet: “Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.” (Matth. 11,28)

 

Auszug aus der Lektion 22 des Lehrgangs SCIENCE of MIND von Ernest Holmes.

Ernest Holmes

Ernest Holmes

Ernest Holmes war Autor und Herausgeber verschiedener Werke, u.a. von “Science of Mind“, das auch in deutscher Sprache immer noch nachgefragt ist.