(Bild: Das Denkmal des ewigen Pilgers)
Pilgern an das Ende der Welt
Cabo Fisterra – das Ende der Welt. Hier begann in alten Zeiten das Niemandsland. Und wer sich traute, etwa Columbus, der erreichte die Neue Welt.
Cabo Fisterra (galicisch), das Ende eines alten Pilgerweges, den viele nur unter dem Schlüsselwort “Santiago de Compostela” kennen. Tatsächlich beginnt der tatsächliche Pilgerweg, der “Sternenweg”, nicht in Regensburg, oder in Saint-Jean-Pied-de-Port, sondern am Mittelmeer – und führt durch die Pyrenäen bis an den Atlantik, nach Finis Terra, oder auf Spanisch: Fisterra. Santiago de Compostela ist da nur eine der letzten Stationen, wenngleich schön, unvergeßlich, nach wie vor dynamisch, und von Jugendlichen aus allen Ländern der Welt besucht.
In den siebzigern des letzten Jahrhunderts pflegte ich auch die Überzeugung, daß ich den berühmten Pilgerweg gehen wolle. Das Leben hatte es anders mit mir vor, und neben den beruflichen Wegen um die halbe Welt blieb wenig Zeit, Zeit, die ich dann doch lieber mit meiner Familie verbrachte. Irgendwann im neuen Jahrtausend aber raffte ich mich auf, wenigstens ein kleines Stück des Weges zu gehen und dabei zu beobachten, welche Gedanken durch mein Hirn strömten. Ich gebe zu, es waren viele, bis es ruhiger hinter der Stirn wurde. Einige wenige Zitate folgen:
(Bild: Ansicht von Santiago de Compostela mit Kathedrale)
Ich wusste nicht, wie weit der Weg ist. Ich bin ihn einfach gegangen. Und angekommen. Schneller als ich mir das hätte denken können.
Friede ist Sein. Einfach Da-Sein.
Weit weg. Wo ist die Ver-Bindung?
(Bild: Altar der Kathedrale von Santiago de Compostela)
Immer der Nase nach: Das Meer riechen!
Auch am Ende der Welt ist es schön.
Die Menschen hier sind klug. Sie bauen einfach Schiffe, um weiterzukommen. Immer in die Sonne. Über das Meer.
Sie bauen einfach Schiffe, und fahren damit ins “Niemandsland” und holen sich von dort reiche Früchte auf den Tisch, soviel, daß die Mutigen unter ihnen viele andere Menschen damit ernähren können. Ich durfte ihre Gastfreundschaft und die Meeres-Früchte genießen. Danke!
Die Menschen hier haben gute Chancen, das kommende Wasser zu überstehen. Sie sind Seefahrer, Fischer, können mit den Booten, Wetter und dem Wasser umgehen.
Das Ende der Welt: Jetzt kommt nur noch Meer, Meer, Meer. Menschen, die viel reisen, können sich hier prima klären – und sich einen neuen, großen Handlungsrahmen setzen.
Die grünen Salamander flitzen über den Felsen, als gäbe es keine Schwerkraft für sie.
Die Sonne liebt alle und alles gleich. Wenn Du ihre Liebe nicht ertragen kannst, bedecke Dein Haupt.
Da ist es manchmal doch gut, daß es auch Schattenseiten – schattige Seiten – gibt… Leider bewegen sich fast ALLE, die es “leichter” haben wollen, nur im Schatten …
Kann ich erst wirklich leben, wenn ich liebe? Wenn ich aus dem großen “I” (das ICH des Ego) ein kleines (i) mache, und es dann so ins “Leben” einbaue, daß daraus eine Liebe wird? Das große ICH hat nur einen Strich (I); das zurückgetretene = i erst kann die Entwicklung fördern.
Der Dunst in der Luft sorgt für ein fast unwirkliches Licht. Alles erhält eine Corona.
Bergauf, bergauf, bergauf. Schwitzen, schwitzen, schwitzen. Es geht immer nur bergauf; habe ich das Abwärts gar nicht mehr bemerkt?
(Bild: Die gleißende Sonne vor Cabo Fisterra scheint ihre Kraft direkt aus dem Himmel zu schütten. Aber: Ich bin noch nicht am Ziel!)
Das Wasser, das Du getrunken hast, brauchst Du nur wieder ausschwitzen. Und nicht mehr im Rucksack mit Dir tragen.
Am besten verschenkst Du, was Du – ach so wichtig – mit Dir genommen hast. Am besten gehst Du nur mit dem, was Du am Leibe trägst. Alles, was Du wirklich brauchst, findest Du am Wege.
Der Rucksack wird leer. Und wenn die Last von Dir gefallen ist, dann hast du wieder den aufrechten Gang.
Mit “Summen” kannst Du Deinen Körper erreichen und erleichtern. Fühle in die Region Deines Körpers, die verspannt ist. Oder die Schmerzen hat. Finde den richtigen Ton. Summe ihn oder singe ihn. Du wirst sehen, wie die Schmerzen im Fluge vergehen.
Endlich: Das Meer. Wind, Wellen. Sechs Möwen standen über mir am Himmel, eine lachte.
Wenn Du Geschenke mitnehmen willst, dann ist es gut, wenn Du Deinen Rucksack behältst. Am besten, wenn er vorher leer ist.
(Bild: Cabo Fisterra – endlich am “Ende der Welt”)
Zurück in Fisterra: Pimientos, ein Schmortopf mit Seeteufel in Knoblauchsauce, garniert mit Meeresfrüchten, ein Rioja Blanco, Ausblick auf den Hafen. Perfekt!
Die Hafenmauer ist geschätzt 8-10 Meter hoch; sind die Winterstürme hier so heftig?
Mit der untergehenden Sonne arbeiten sich die Konturen der Landschaft nach und nach deutlicher heraus.
Kontinuierlich laufen die Boote der Fischer ein. Schon warten, wie synchronisiert, die Kühlfahrzeuge im Hafen, nehmen die Früchte des Meeres auf, verteilen sie auf die Restaurants, die ihren Gästen damit frische Genußfreuden bereiten. “Alles frisch” – der alte Slogan von Tschibo findet hier endlich seine Entsprechung.
Spät am Abend: Die Schwarze Madonna in der Kathredale von Santiago de Compostela darf nicht fehlen. Das Mysterium des Lebens teilt sich mit durch die Geburt eines neuen Menschen. Im Hier und Jetzt durch unser Kind. Was geben wir ihm mit auf die Reise? Mit welchem Bewußtsein schaffen wir den geeigneten Rahmen, daß sich diese neue Manifestation göttlicher Schöpfungskraft entwickeln kann? Müssen wir gleich die ganze Welt in Händen halten?
Dietmar Hannebohn
Dietmar Hannebohn ist seit 1977 selbständiger Strategie- und Kommunikationsberater
(alle Bilder: alle Urheber- und Copyright-Rechte 2018 by Dietmar Hannebohn)